Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition)
entkrampfte sich sein Körper mehr. Endlich schlossen sich seine Augenlider.
Drei Stunden später erwachte er. Blitz und Donner hatten ihn geweckt.
Verschlafen zog er die Vorhänge auf. Regen rann unaufhörlich die Scheiben herunter. Verschwommenes Grün vor grauem Himmel.
Auf steifen Beinen stakste er ins Bad. Erst unter der Dusche begriff er, wo er war. Die Kabine war schmal wie immer. Er musste die Plastikschiebetür offen lassen.
Schnell bildete sich eine Wasserlache, Toilette und Toilettenpapier wurden nass. Fluchend warf er eins der kleinen Handtücher auf die grau-blauen Fliesen. Trocknete sich mit dem verbleibenden Handtuch ab. Er fühlte sich trotz des Schlafs müde und schlapp.
Blick zur Uhr.
In dreißig Minuten mussten sie bei Agnes sein. Langsam zog er sich an. Der Regen hatte nachgelassen.
Derek setzte sich auf den Beifahrersitz.
Auch er hatte geschlafen. Sie hatten beide keine Lust auf diesen Abend. Langweilige Gespräche, fremde Tanten und Onkel.
Tim hätte sich lieber Roomservice bestellt. Burger, Fritten und Bier vor dem Fernseher.
Sie nahmen die Landstraße. Es war dunkel. Ein Fuchs kreuzte die Fahrbahn. Geduckt rannte er eilig ins Maisfeld. Einige Kilometer weiter fuhren sie über ein totes Stinktier.
»Scheiße!«
Schon nach Sekunden konnten sie den Gestank im Wagen riechen. Wahnsinn, dass es genügte, über ein totes Stinktier zu fahren, dachte Tim.
Dann passierten sie das Ortsschild, Jasper.
Tim fuhr langsamer. Stierte ins Dunkel. Versuchte, den Ort wiederzuerkennen. Fühlte sich schlagartig wacher und seltsam aufgekratzt.
Da gab es noch den kleinen Supermarkt. A to Z Variety Store. Manchmal hatte er als Teenager dort Batterien und Kaugummi geklaut. Er lächelte bei dem Gedanken daran.
Hundert Meter weiter Rudy’s Pub, eine von drei Kneipen im Ort. Als Kind hatte er dort oft den Vater abgeholt. An Sonntagen hatte ihn die Mutter geschickt, wenn der Vater zum Essen nicht nach Hause kam. Das Schild war etwas abgeblättert, ansonsten sah das Gebäude genauso aus, wie er es in Erinnerung hatte.
Derek setzte sich auf.
»Ich bin hier um die Ecke aufgewachsen.« Tim zeigte vage nach links.
»Da, wo jetzt der Parkplatz ist, war früher ein kleiner Wald.
Wenn wir zu Besuch waren, hast du dort oft gespielt. Einmal mussten wir dich von einem Baum herunterholen. Du warst mit den Kindern der Nachbarin draufgeklettert und wusstest nicht mehr, wie runterkommen.«
Es war schwer, im Dunkel etwas zu erkennen.
Dann bogen sie in Agnes’ Straße ein. Das Viertel eine billige Wohngegend. Schmucklose Häuser. Alte Kleinwagen, gestutze Hecken, zugezogene Gardinen.
Sie hielten vor Nummer 18. Ein kleines graues Haus, unscheinbar, kleiner Vorgarten, zwei große Mülltonnen, schmale Einfahrt.
»Mist. Wir hätten noch Wein holen sollen.«
Derek hatte recht.
Unschlüssig saßen sie im Wagen. Dann ging die Haustür auf, und eine alte Frau mit geblümter Schürze trat auf die Veranda. Sie sah den Wagen und winkte. An ihrer Hand ein hautfarbener Verband.
»Wer ist das?« Derek kniff die Augen zusammen, er erkannte sie nicht.
Tim grinste. »Das ist meine Tante Daisy.«
Er winkte zurück.
»Ach, Timmie, mein Großer! Wie schön, dich zu sehen! Und der kleine Derek! Was sag ich? Klein bist du nun wahrlich nicht!«
Tante Daisy empfing sie auf dem gepflasterten Weg vor dem Haus. Sie umarmte beide mit einem Arm. Redete in einem Fluss.
Sie war klein und rund, ein frischer Soßenfleck glänzte auf der Schürze über ihrem Busen.
»Vorsicht!« Sie hob lachend die bandagierte Hand. »Die muss ich hochhalten! Sehnenscheidenentzündung.«
Dann besann sie sich. Wechselte den Ton. Flüsterte. »Mein Gottchen, dass wir uns zu so traurigem Anlass wiedersehen, was? Aber die Ärzte konnten nichts mehr tun …« Sanft schob Tim sie zur Haustür.
Den Duft aus der Küche kannte er. Es roch nach Kindheit.
Agnes grüßte sie schon aus der Entfernung. Sie trug eine pinkfarbene Schürze, und ihr Gesicht war gerötet. Über die Spüle gebeugt, füllte sie dampfende grüne Bohnen in eine Schüssel.
»Agnes, Schatz, vergiss die Butter nicht! Steht im kleinen Topf auf dem Herd!«, sagte Daisy.
Sam kam ihnen mit zwei Flaschen Bier entgegen. »Ihr trinkt doch Bier? Grüß dich!« Er nickte Derek zu. Klopfte Tim auf die Schulter.
Im kleinen Wohnzimmer saßen bereits einige ältere Leute um den gedeckten Tisch.
Angeregte Unterhaltung, die alten Herren tranken Bier. Als Derek und Tim eintraten, verstummte das Gespräch.
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