Alltag auf arabisch: Nahaufnahmen von Kairo bis Bagdad (German Edition)
Runde.
Im Innern der Villa macht sich eine gute Hundertschaft von Plünderern über die wenigen übrig gebliebenen Einrichtungsgegenstände her. Eine zierliche Greisin hält mit einer Hand ihre Abaya, ihren schwarzen Umhang, fest, während sie sich gegen eine massive Kommode stemmt und diese zentimeterweise in Richtung Ausgang rückt. Hilfe darf sie dabei nicht erwarten. Beim Plündern ist sich jeder selbst der Nächste.
An anderen Orten sind echte Experten am Werk, beispielsweise in einem der vier Badezimmer, in dem ein Mann zunächst eingehend die Funktionalität des WCs prüft, bevor er es fachmännisch aus der Verankerung schraubt. Im leeren Schlafzimmer schraubt ein Elektriker in aller Ruhe jede einzelne goldfarbene Steckdose ab und verstaut die Beute in einer Plastiktüte.
Im ganzen Haus riecht es nach Essig. In der Küche wird klar, warum. Ein Mann schnüffelt an Flaschen und Karaffen auf der Suche nach Alkoholischem. Enttäuscht zertrümmert er jede Flasche auf dem Küchenboden. Die Besitzer des Hauses waren offenbar dem Geschmack exquisiter Essigsorten verfallen.
Churchills Männer müssen sich mit einer Schallbombe in der Eingangshalle die Aufmerksamkeit der Plünderer verschaffen. Die Hälfte rennt daraufhin in Panik zum Ausgang. Die anderen gehen vor den amerikanischen Waffen sicherheitshalber erst mal respektvoll in die Hocke. Leider kann von dieser bemerkenswerten Szene kein Bild veröffentlicht werden, weil Churchill unseren Fotografen attackiert, die digitale Speicherkarte aus der Kamera nimmt und das gute 400-Dollar-Stück mit den Worten „der Fotograf gefährdet die Sicherheit meiner Männer“ mit seinem Stiefel auf dem Fliesenboden zerdrückt.
Überhaupt scheinen sich Churchill und die Seinen mehr für die Journalisten als für die Plünderer zu interessieren. Während sie Letztere mit dem Hinweis „Ali Baba no good“ des Weges schicken, fordern sie die Journalisten auf, sich auszuweisen. „Beihilfe zum Diebstahl“, lautet die Anklage. Schließlich hätten wir die US-Armee rufen müssen. Auf den Einwand, ob wir lieber das US-Hauptquartier Centcom in Katar oder den amerikanischen Notruf 911 mit unseren nicht vorhandenen Telefonen hätten anrufen sollen, hat Churchill nur ein „Halt’s Maul, ihr befindet euch in einer militärischen Situation“ übrig.
Während einer seiner Soldaten, das Maschinengewehr im Anschlag, vom Jeep aus den Ort absichert, nimmt Churchill die Personalien auf, um uns dann die zerschmetterte digitale Speicherkarte zurückzugeben. „Journalisten ist es verboten, sich diesem militärischen Objekt zu nähern“, erklärt er abschließend.
So viel zur amerikanischen Ordnungsmacht in Bagdad. Als wir wenige Stunden später abends noch einmal an dem Haus vorbeifahren, hat sich Churchills Armee taktisch zurückgezogen. Gemächlich und ungestört sind die letzten Plünderer gerade dabei, das Holz der Fensterrahmen in die dunklen Straßen Bagdads davonzutragen. Von Churchills militärischem Objekt ist nur noch der Rohbau übrig.
Korrespondenten-Post aus einem Präsidentenpalast
(Bagdad, den 20. April 2003)
„Have a nice day“ – einen wunderschönen Tag wünscht der US-Soldat am Ausgang des Palestine Hotels, das neben den Journalisten auch der US-Armee als Unterkunft dient. Rund um das Hauptquartier-Hotel erstreckt sich die „befreite Zone“. Die „Vereinigten Staaten von Irak“, wie es ein Bagdader eher abschätzig nennt.
Deren Hoheitsgebiet umfasst alle größeren Plätze der Stadt. Das neue Prinzip staatlicher Autorität ist relativ einfach: Auf jedem Verkehrsrondell, das groß genug ist, um einst in seiner Mitte eine Saddam-Statue beherbergt zu haben, steht heute ein amerikanischer Panzer. Alles andere ist rechtsfreie Zone.
Höhepunkt des kleinen Ausfluges war der Spaziergang durch den Jumhuriyah-Präsidentenpalast, der eigentlich nicht nur aus einem Palast besteht, sondern aus einem riesigen Areal aus Palastbauten. Früher galt dieser Ort als eine absolute Tabuzone, über die man nur flüsternd sprach. Selbst am anderen Tigrisufer durfte man nicht stehen bleiben und einen genauen Blick auf das Objekt werfen. Bei den durchschnittlichen Irakern galt es schon als gefährlich, in Richtung des Palasts auch nur zu deuten.
Jetzt kann man in den verbotenen Palastgärten zwischen zwitschernden Vögeln und blühenden Frühlingsbüschen flanieren, zumindest als ausländischer Journalist. Für Iraker gilt das ganze Gebiet noch immer als Tabuzone, statt Saddam
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