Alltag auf arabisch: Nahaufnahmen von Kairo bis Bagdad (German Edition)
Menschen in Kairo, Beirut und Bagdad einen Namen und Gesichter geben. Es will zeigen, wie bei aller orientalischer Exotik, in einer von Krisen, Kriegen und Armut geschüttelten Region, Menschen die gleichen Gefühle, kleinen und großen Lebensträume haben wie die Leser dieses Buches. Nicht die Krisen selbst stehen hier im Vordergrund, sondern die Menschen, die sie täglich meistern und dabei noch versuchen ein ganz normales Leben zu führen. „Ein Tag Honig, ein Tag Zwiebeln“, lautet ein arabisches Sprichwort. Es könnte auch das Motto dieses Buches sein. Mit viel Witz, einer gehörigen Portion Gelassenheit, manchmal auch einer lähmenden Gleichgültigkeit und oft einer tröstenden Schicksalsgläubigkeit ziehen die Araber in ihren täglichen Überlebenskampf.
Fast zwei Jahrzehnte sammle ich nun als Nahost-Korrespondent Anekdoten und Geschichten von Menschen in dieser Region. Manche wurden im Laufe der Jahre in deutschsprachigen Zeitungen veröffentlicht, einige waren im Rundfunk zu hören, andere werden hier das erste Mal erzählt. Nicht durch ein Teleobjektiv aus der Ferne beobachtet, sondern durch Nahaufnahmen soll Tuchfühlung aufgenommen und Beziehung hergestellt werden. Es sind heitere und ernste, verrückte und tragische Geschichten, aus dem Leben selbst – aus Honig und Zwiebeln eben.
Wie chauffiert man schweißgebadet seinen Neuwagen durch Kairos Verkehrschaos? Was hat die Wohnung meiner Tante in Alexandria mit dem Klimawandel zu tun? Wie geht man mit den kafkaesken Arabesken einer 7000 Jahre alten ägyptischen Bürokratie um, die Strafzettel für das Überfahren einer roten Ampel verteilt, in einer Straße, in der es gar keine Ampeln gibt? Und über allem: dicke Luft in der Stadt, jenseits der Schadstoffgrenzen, bei der jede europäische Feinstaubdiskussion wie Hohn anmutet.
Aber es geht auch darum, wie Menschen mit etwas mehr als einem Euro am Tag um ihr und das Überleben ihrer Familien kämpfen. Menschen wie Abu Aschraf, der als Metallarbeiter 40 € im Monat verdient und nicht weiß, von welchem Geld er am ersten Schultag seine Kinder einkleiden soll. Wie jenseits des Staates Konflikte geschlichtet werden, mit Sana’, der „Scheichin der Gasse“, einer Schneiderin, die in einem Kairoer Armenviertel zugleich als Friedensrichterin und Bewährungshelferin auftritt. Immer wieder tauchen sie auf, die „Sittat bi-miat ragil“ – die Frauen, die hundert Männer in die Tasche stecken. Frauen wie die Rallyefahrerin Laleh Saddigh, bei der das Kopftuch sichtbar wird, wenn sie ihren Helm abnimmt. Sie alle entsprechen so gar nicht dem westlichen Bild von der schwachen, ohnmächtigen muslimischen Frau.
Es soll nichts beschönigt werden. Hier geht es auch um Tabus. Viel ist von Heuchelei und den zwei Gesichtern islamischer Gesellschaften die Rede. Vom Kampf zwischen Anspruch und Wirklichkeit, dessen Front hinter Waschpulver und Windeln im hinteren Regal in Abu Summers Tante-Emma-Laden in Bagdad verläuft, wo der christliche Händler Whisky, Wodka und Dattel-Arrak feilbietet und fast ausschließlich Muslime zu seinen Kunden zählt. Oder vom Sextourismus in Kairo: Im Eigenversuch wird getestet, wie das Netzwerk aus Pförtnern, Wohnungsmaklern und Prostituierten funktioniert, das meist reichen Golfarabern käufliche Liebe verschafft.
Deutlich wird auch die kulturelle Zerreißprobe der Menschen. Zwischen Konsum und Spiritualität meinen viele auf der Suche nach ihrer Identität ihr Heil in schnellen islamischen Patentrezepten zu finden, bei einer Art „Instant-Islam“: schnell ein Kopftuch auf, flugs einen Bart wachsen lassen – so treten Äußerlichkeiten ins Zentrum der eigenen Religiosität. Und dann ist da noch der Frust, stets politisch auf der Verliererseite zu stehen, sei es gegenüber dem überlegenen Westen, Israel oder den eigenen arabischen Regimes. Ein Gefühl, das zur Folge hat, dass sich selbst meine eigenen, verwestlichten Tanten als potenzielle Terroristen outen.
Auch Berichte aus den Kriegsgebieten enthält dieses Buch. Es sind keine Front-Reportagen, in kugelsicherer Weste recherchiert, sondern Geschichten von hinter der Front, aus dem Libanonkrieg oder von den zerplatzten Lebensträumen einer befreundeten irakischen Familie. Jahrelang hatte sie einem Leben ohne Saddam entgegengefiebert. Groß, aber bald enttäuscht, waren ihre Hoffnungen nach dessen Sturz im neuen Irak. Inzwischen sind sie froh, das Land mit heiler Haut verlassen zu haben. „Niemals hatten wir die Wahl“, sagt die
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