Almas Baby
Begründung für jene unbändige Neugier, mit der die Gartenfreunde Anteil am Leben und Treiben ihrer Nachbarn nahmen. Hier hatte sie schon früher immer mal wieder Unterschlupf gefunden und darum gebetet, um Gottes Willen nicht aufzufallen. Ein Anliegen, das sie ihr ganzes Leben begleitet hat.
Schon als Kind wäre sie liebend gern so gewesen wie alle anderen Kinder auch. Aber es war ihr nicht vergönnt. Das wurde ihr spätestens klar, als sie eingeschult wurde. Während alle in ihrer Klasse in legeren Jeans durch ihre Jugend schlendern durften, musste sie niedliche Kleider tragen und ihre langen blonden Haare zu Zöpfen flechten. Sie sollte halt aussehen wie ein richtiges Mädchen. So hatte es ihr Vater bestimmt. Ein Vater, der seine Wohlanständigkeit nach außen trug wie einen protzigen Pelzmantel, den er zu Hause dann allerdings ganz schnell ablegte. Was er sagte, wurde gemacht. Alle in der Familie hielten sich daran, denn sonst setzte es Prügel. Und wenn sie als Einzige trotzdem hin und wieder aus der Reihe tanzte, fielen die besonders brutal aus. Vor allem wenn er betrunken war. Kinder hatten zu folgen. Töchter in erster Linie.
Zu Vaters Vorstellungen gehörte auch, dass Mädchen - egal wie gute ihre Noten auch sein mochten - keine höhere Schulbildung anzustreben hatten. Das lohne sich nicht, weil sie ja ohnedies heiraten würden und sich ihre Selbstverwirklichung dann in dem geordneten Dasein einer Hausfrau und Mutter zu erfüllen habe.
Immerhin - einen Beruf sollten sie vor der Ehe schon ergreifen. Etwas Praktisches, mit dessen materiellem Erfolg sie dann auch zur elterlichen Haushaltskasse beisteuern konnten. Das hieß in ihrem Fall, dass ihre Mutter sie als Friseur-Azubi in jenem Salon unterbrachte, in dem sie sich selbst seit 20 Jahren einmal im Monat stets dieselbe Frisur verpassen ließ. Ob der Tochter eine Zukunft recht sei, deren Bemühungen sich ausschließlich darin erschöpfen würden, unattraktiven Hausfrauen dabei zu helfen, am Ende der Prozedur noch unattraktiver zu erscheinen - danach hatte die Mutter nie gefragt. Übrigens auch die Lehrherrin nicht, als sie ihrem neuen Azubi aus Image-Gründen kurzerhand die ursprüngliche Langhaar-Frisur durch einen dauergewellten Kurzhaar-Schopf ersetzte.
„Du siehst aus wie meine Oma“, kommentierten die Mädchen in der Berufsschule ihre uncoole Verwandlung und wandten sich kichernd ab.
Und dann kam - viel später - jene Zeit, in der sie wiederum ganz anders aussah, als sie es sich jemals zuvor hätte vorstellen können. Genauso wie es ihre Kunden schätzten. Nein, nicht die im Friseur-Salon. Die Freier auf dem Straßenstrich an der Ravensberger Straße. Ja, den gab’s damals noch mit seinen schmuddeligen „Verrichtungsboxen“, die einen Tag nach der Meisterschaftsfeier für den glorreichen BVB im Mai 2011 bei Nacht und Nebel abgerissen wurden. Dem Bürgerwillen einiger Großstadtsaubermänner opfert ein Oberbürgermeister doch gern jene 80 000 Euro Sexsteuer aus der ohnedies karg bemessenen Stadtkasse. Dabei sollte die doch nur ein Jahr zuvor noch gerade durch die Arbeit emsiger Huren wieder aufgefüllt werden. Erst im Sommer 2010 hatte der Rat eine neue Satzung verabschiedet, die der Stadt das Kassieren von Steuern „für die Einräumung der Gelegenheit von sexuellen Vergnügungen und das Angebot sexueller Handlungen“ ermöglichte. Diese Möglichkeiten wurden dann 2011 durch das generelle Verbot der Straßenprostitution erheblich eingeschränkt.
Ein untauglicher Versuch zur Eindämmung der Zuwanderung von Roma ins Dortmunder Stadtgebiet. Ein ungleicher lokaler Kampf gegen die eher globale Idee der Osterweiterung. Die wollte man plötzlich nicht mehr, wie so vieles andere auch nicht: das Grillen im öffentlichen Grün und das Betteln in der City. Und selbst die Methadon-Ausgabe des Gesundheitsamtes wurde verlegt, weil sie zu nahe am Konsum-Dorado des neuen Einkaufsparadieses der Thier-Galerie lag. Wer will schon die Elendsgestalten der Drogenabhängigen sehen, wenn er auf Shopping-Tour geht? All das sollte geändert werden zugunsten einer klinisch reinen Stadt mit lauter ordentlichen Bürgern, die höchstens noch mal heimlich mit dem Kleinkalibergewehr auf Fußball spielende Kinder im Innenhof ihres Wohnblocks schießen. Aber wen interessiert das schon, wenn ansonsten alles wohlgeordnet und sauber ist. Eine Stadt, die man vorzeigen kann - fast ununterbrochen beleuchtet. Und in der man viel kaufen kann. Nicht alles zwar, und nicht alle
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