Almas Baby
lassen oder uns vielleicht einen Hinweis gegeben auf ihre psychische Verfassung. Irgendetwas, was uns erahnen lässt, warum manche kinderlosen Frauen so handeln wie Alma, obwohl sie doch wissen müssten, dass so etwas nicht gut gehen kann. Wenn wir nicht begreifen, was in solchen Täterinnen vorgeht, können wir uns auch nicht vor ihnen schützen. Aber offensichtlich haben doch alle ein gemeinsames Motiv. Sie haben jeweils eine fast identische Vorgeschichte und gehen nach derselben Methode vor.“
Zarah sagte nachdenklich: „Kinderlosigkeit weckt bei Frauen häufig Schuldgefühle. Die Gründe dafür müssen wir offensichtlich in fehlgeleiteten Sozialisationen suchen. Denn solange wir die Mutterrolle in der Gesellschaft so hochhalten, dürfen wir uns eigentlich nicht wundern. Unsere Natur ist auf Fortpflanzung angelegt - aus Gründen der Arterhaltung. Das ist die biologische Wahrheit. Wir aber machen daraus einen Kult. Das ist gefährlich, denn wir bürden den Frauen damit eine ungeheure Last auf. Sie müssen heutzutage emanzipiert sein, aktiv mitarbeiten im gesellschaftlichen Kontext und gleichzeitig noch ihre Selbstverwirklichung in der Mutterschaft finden. Das ist eben für manche ein bisschen viel. Solange wir hier nicht umdenken, kann es keine Prävention gegen solche Eskalationen wie bei Alma Behrend und vielen anderen geben.“
Hammer-Charly seufzte und fuhr sich wie immer, wenn er nicht so recht weiter wusste, mit der Hand über seinen kantigen Schädel und setzte zu einer Antwort an. Zarah bekam sie nicht zu hören, denn just in diesem Moment ging die Tür auf und Volker Lauer erklärte: „Die Unfallklinik hat gerade angerufen. Alma Behrend ist tot. Ihre Leiche wird soeben in die Rechtsmedizin überstellt. Obwohl mit Sicherheit kein Fremdverschulden vorliegen kann, besteht die Staatsanwaltschaft auf einer Obduktion. Aber vorher muss irgendwer dem Beamtena…, ’tschuldigung, dem Ehemann Bescheid sagen.“
„Kannst du das übernehmen?“, fragte Charly seinen Vize, „du hast doch bereits einen ganz guten Kontakt zu ihm. Vielleicht solltest du diesmal aber doch einen Schluck mit ihm trinken. Danach haben wir uns alle wohl ein paar Stunden Schlaf verdient. Wir treffen uns morgen beim Leichenfledderer.“
Als Charly rund 14 Stunden später im Rechtsmedizinischen Institut an der Bünnerhelfstraße in Dorstfeld vor einem der Edelstahltische stand, kam er sich ein klein wenig schäbig vor, denn er spürte Erleichterung, dass dort vor ihm eine erwachsene Frau lag und kein winziges Baby. Kinder, vor allem Babys aufzuschneiden - das hatte auch Rechtsmediziner Dr. Henner Falk einmal gestanden - geht selbst erfahrenen Obduzenten an die Nieren. Trotzdem starrte Charly erschüttert auf den wachsbleichen Körper von Alma Behrend und versuchte sich krampfhaft auf das zu konzentrieren, was ihm Dr. Falk als Obduktionsergebnis vortrug. Der Rechtsmediziner deutete auf die Stichwunde unterhalb der linken Brustwarze und erläuterte: „Der Stichkanal verläuft von links unten nach rechts oben und reicht bis ins Herz. Dabei kam es zu einer langsamen Blutung in den Herzbeutel hinein. Alma Behrend ist an einer Herzbeuteltamponade gestorben.“
Zwischen Einstich und Tod, so erläuterte der Rechtsmediziner, sei eine bestimmte Zeit vergangen, in der die Frau durchaus noch handlungsfähig gewesen sei. Das erkläre eben auch, dass sie es noch geschafft habe, mit dem Kind im Arm die Laube zu verlassen. Das Sterben, so Dr. Falk, habe sicher eine längere Zeit gedauert. Eine Zeit, in der Alma Behrend nur noch den einen Satz sagen konnte: „Ich habe das nicht gewollt.“ Was nicht gewollt? Die Entführung des Babys? Oder ihren eigenen Weg ins Nichts. Nicht einmal der war ihr am Ende leicht gemacht worden.
Berthold Behrend, so erzählte Volker Lauer seinem Chef, habe er noch am Abend nüchtern angetroffen. Seine Mutter sei bei ihm gewesen und habe in der Wohnung offenbar klar Schiff gemacht. Lauer hatte den Eindruck gewonnen, als habe sie die Nachricht vom Tod ihrer Schwiegertochter mit Erleichterung aufgenommen. Berthold Behrend selbst erschien - obwohl offensichtlich ausgenüchtert - wie betäubt. Er habe vor sich hingestarrt und nur so etwas gemurmelt wie: Er habe schon lange keine Frau mehr. Jenes Mädchen, das am Abend immer die Sterne bewunderte und nach deren Namen fragte, sei schon lange fort.“
Katja und Jens Storm waren überglücklich. Sie bekamen ihr Baby noch am Abend wieder. Es war unversehrt und schlief sichtlich
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