Almas Baby
ihm: Er hat einen Leichnam vor sich - kalt und starr. Er stürmt nach oben. Dort steht seine Korridortür sperrangelweit auf. Keine Spur von Frau und Kind. Er stürzt zum Telefon.
Kapitel 2
Karl Hammer, erfahrener Leiter vom Kriminal-Kommissariat 11 im Dortmunder Polizeipräsidium, den alle wegen seiner zupackenden Art nur Hammer-Charly nennen, würde sich am liebsten die Haare raufen, wenn er mehr als Stoppeln auf seinem Kopf hätte. Hat er aber nicht. Darum schnauzt er in einer Art Ersatzhandlung Volker Lauer an, als dieser ihm die Nachricht von der Leiche im Hausflur und der angeblichen Entführung von Mutter und Kind überbringt: „Mein Gott, Lauer, bist du noch bei Trost? Ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht und du kommst mir mit einer alten Frau, die sich ausnahmsweise das Genick und nicht wie üblich den Oberschenkelhals gebrochen hat. Und dazu noch mit einem Beamtenarsch, der die Pferde scheu macht, weil die holde Gattin mal eben ihr Baby der besten Freundin vorführt, ohne ihm vorher Bescheid gesagt zu haben.“
Der Vize des Hauptkommissars kennt seinen Chef: „Charly, mach halblang. Die Korridortür stand auf. Das ist doch wohl nicht üblich, wenn eine Mutter ihr Kind nur mal eben spazieren fährt.“
„Trotzdem, Lauer. Mir geht die andere Mutter nicht mehr aus dem Kopf. Die, die ihre Augen vor lauter Weinen nicht mehr aufhalten kann. Die sich wimmernd im Bett hin und her wiegt wie ein Kind mit Hospitalismusschäden. Die, zu der ich mich nicht hineintraue, weil ich ihr nichts sagen kann über ihr Baby, das irgendeine Schwachsinnige gestern einfach von der Säuglingsstation geklaut hat. Ein Baby - geklaut!! Das muss man sich mal vorstellen. Nur ein paar Kilometer von uns entfernt. Um diese Frau, Lauer, muss ich mich kümmern. Hast du nicht gestern die Hubschrauber über dem Krankenhaus kreisen gesehen? Alles war im Einsatz, um diesen Säugling lebend zu finden. Da kann ich mich nicht von einem Baby ablenken lassen, das - soviel wir wissen - offensichtlich noch bei seiner Mutter ist. Begreifst du das denn nicht?“
„Doch Charly, aber trotzdem … Reg dich ab. Vielleicht hilft dir das weiter.“ Volker Lauer legt dem Hauptkommissar einen Computerausdruck auf den Schreibtisch: „Hier ist eine ganze Reihe von Kindesentziehungen aufgelistet, die sich in den letzten Jahren in deutschen Kliniken ereignet hat. Alle gingen gut aus.“
„Und wenn wir die schreckliche Ausnahme sind?“ Hinter Hammer-Charly Stirn beginnt es zu pochen. Er greift zu der Aufstellung und liest - mehr um sich abzulenken, als in der Hoffnung, davon wirklich neue Erkenntnisse zu gewinnen. Aufgeführt waren insgesamt nicht mehr als sieben Fälle. Alle schienen, was Tatausführung und Motivlage anbelangt, derart identisch, als wäre hier ein einziger Täter am Werk gewesen. Besser gesagt eine Täterin.
* Januar 1999:
Entführung aus dem Bethesda-Krankenhaus in Mönchengladbach. Täterin war eine als Krankenschwester verkleidete Friseurin (33). Das Kind wurde in ihrer Wohnung aufgefunden. Es war ihm nichts passiert.
* September 1999:
Entführung aus dem Säuglingszimmer des Krankenhauses in Berlin-Friedrichshain. Täterin war eine verwirrte 22-jährige Studentin. Der Säugling blieb unversehrt.
* Februar 2000:
Aus einem Krankenhaus in Wetzlar wird ein Neugeborenes von einer 26-jährigen Italienerin entführt und einen Tag später in Gießen gesund aufgefunden.
* Februar 2001:
In Bremen wird kleiner Junge - gerade einmal einen Tag alt - aus dem Zentralkrankenhaus entführt und am folgenden Tag in gutem Zustand aufgefunden - wohl versorgt von seiner 36-jährigen Entführerin, die zuvor das Sorgerecht über ihre eigenen fünf Kinder verloren hatte.
* November 2001:
Entführung eines Babys aus einem Krankenhaus in Bückeburg. Das Kind wird 24 Stunden später 30 km entfernt in Porta Westfalica gesund aufgefunden. Täterin war eine 20-Jährige.
* Mai 2005:
Baby-Entführung aus der Leverkusener Remigius-Klinik. Das Kind wird vier Tage später im Fahrstuhl eines Geschäftshauses in Düren wohlbehalten wiedergefunden.
* November 2008:
Elbklinik Buxtehude. Täterin ist eine 24-Jährige. Motiv: unerfüllter Kinderwunsch. Sie setzt das Kind kurze Zeit spät in der Cafeteria des Krankenhauses in Bremerhaven ab.
Sieben Fälle. Nur ein ganz kleiner Teil dessen, was tatsächlich vorgefallen ist. Sorgsam dokumentiert. Es gibt viel mehr. So viele, dass bereits 2002 im Uniklinikum Lübeck ein ausgeklügeltes Sicherungssystem mit
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