Als das Glück zu Frieda kam - ROTE LATERNE Band 1 (German Edition)
dann werde ich von euch im Stich gelassen. Mit wat hab ich denn dat nur verdient?«
Sie schrie, heulte und krakeelte herum und hielt zwischendurch immer wieder den Atem an, um nach oben zu lauschen. Die Geräusche verrieten ihr, dass dort gepackt wurde. Und dann begann sie wieder laut zu lamentieren und grölte ihr Elend heraus, dass es auch in den anderen Häusern zu vernehmen war.
»Bei der Zunder ist Randale«, hieß es. »Die Mädchen machen ihren Abpfiff!«
Es gab keine Dirne in der Bordellstraße, die über diesen Umstand unglücklich gewesen wäre. Die meisten rieben sich die Hände, denn Olga hatte sich ihnen gegenüber nie fair verhalten und ihnen allen Schwierigkeiten bereitet, wo immer sie einen Vorteil daraus gehabt hatte. An später hatte Olga Zunder nie gedacht und sich immer als heimliche Königin dieser Bordellstraße betrachtet.
Nun rannte die kronenlose Königin ihren davonlaufenden Mädchen händeringend nach, schrie und flehte, so dass hier und dort doch noch Zweifel auftauchten, ob sie nicht wirklich mal Schauspielerin gewesen war.
»Dat steh ich nicht durch«, heulte sie, als sie an den Fenstern entlanghumpelte, denn bei ihren Rettungsversuchen war ein Absatz unter dem Gewicht ihres beachtlichen Körpers abgeknickt. »Dat könnense doch nicht mit mir machen ...«
»Haste Zunder gekriegt, hä?«, meinte eine jüngere Dirne hämisch.
»Ach, Gerdachen, mein Süßes, will-ste nicht bei mich auf Aushilfe kommen, Häseken? Bei mir hastes gut ...«
»Bei dir?« fragte die Dirne lachend. »Lieber schrubb ich die Puffstraße, bevor ich einen Schritt über die Schwelle von deiner Bruchbude tue!«
»Aber Gerdalein ...«
»Lösch dat, du Kanaille«, wurde Olga unterbrochen. »Letztes Jahr haste mir 'ne Anzeige reingedrückt, du Mieseschwabbe, wat du bist. Zisch, sonst kriegste mein Pisspott übern Kopp!«
Lautstark knallte das Fenster zu. Andere gingen auf.
»Du Kröte!«
»Dreckstück!«
»Hau ab von hier!«
Olga hielt sich die Ohren zu. Die Dirnen schrien nun etwas im Chor, das Olgas Ohr nur von fern erreichte. Während sie an der Hauswand entlanghumpelte, platschte ihr eine faule Tomate ins Kreuz. Dann traf sie ein Schwall Wasser. Und endlich hatte sie die schützende Tür erreicht. Olga kroch in den Raum, schloss die Tür hinter sich und lehnte sich schwer atmend mit dem Rücken dagegen. Weit geöffnet starrten ihre Augen in den leeren Raum. Ganz hinten im Spiegelschrank begegnete Olga Zunder ihrem Gesicht. Es war ein Gesicht voller Angst und Entsetzen.
*
An diesem Abend ließ Olga die Weinstube geschlossen. Am späten Nachmittag hatte sie Fritz Kubinke angerufen.
»Nein, danke, Frau Zunder«, hatte er ruhig und höflich gesagt. »Ich werde bei Ihnen nicht mehr Klavier spielen. Niemals wieder, Frau Zunder!«
»Aber Heber Herr Kubinke«, hatte sie ihn angefleht. »Dat könnense doch nicht machen. Sie als mein langjähriger, treuer Mitarbeiter ...«
»Ich spiele nicht mehr, Frau Zunder!« Daraufhin hielt Olga den stummen Hörer in der Hand und starrte ihn begriffslos an.
»Scheißkerl«, knirschte sie und ging mit müden Schritten in die Küche. Alles war so leer, so trostlos. Jetzt wurde ihr die ganze Schäbigkeit des Hauses so richtig bewusst.
Zaghaft hob sie den fleckigen Vorhang an der Spüle. Eine fast leere Schnapsflasche stand dort und erinnerte an Frieda Paluschke. Dann ging Olga nach oben und durchwanderte die Zimmer. Sie sah die alten Möbel, die fleckigen Tapeten, die blinden Fensterscheiben, hörte das Knarren der alten Dielenbretter unter ihren schweren Schritten und wurde sich plötzlich der ganzen Erbärmlichkeit bewusst.
Ja, hier waren die Mädchen ihrem Gewerbe nachgegangen. Olga hatte sie von der Straße geholt. Doch nicht etwa aus Barmherzigkeit. Die Straßendirnen waren ja auf sie angewiesen gewesen. Solange der Rubel gerollt war, hatte Olga nicht auf Äußerlichkeiten geachtet. Ihrer Meinung nach war den Männern die Tapete egal, und das Knarren eines Bettes mochte sie wohl kaum gestört haben. Die Mädchen waren wichtig gewesen. Doch nun gab es sie nicht mehr ...
Fast fluchtartig walzte Olga nach unten. Dann trank sie etwas, ging hinauf in ihre Wohnung und zog sich um. Später sah man sie dort, wo die Dirnen heimlich und illegal ihre Geschäfte machten. Verzweifelt versuchte die Bordellbesitzerin jene Mädchen für sich zu gewinnen.
»Zum guten Tropfen?«, hieß es. »Nee, dat ist ein Todesurteil. Da gehen wir nicht hin!«
»Aber ihr habt dat gut bei
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