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Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Titel: Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimund August
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Bierglas, „schlecht“, sagte er dann entschieden, „ganz schlecht! Ich habe auch nicht die Absicht dort zu bleiben. Eines Tages haue ich ab, ganz klar.“
    „Wie alt sind Sie denn, wenn ich mal fragen darf …“
    „Achtzehn“, sagte Sebastian.
    Hoffmann wiegte den Kopf. „Das ist nicht so leicht, da sind Sie ja im Westen noch lange nicht mündig. Und mit Arbeit ist es hier zurzeit auch noch nicht so weit her. Natürlich wird sich das bald ändern. Schließlich gibt’s eine Menge aufzubauen, da wird’s dann auch Chancen geben, ganz sicher. Was machen Sie denn beruflich? Sind Sie Student?“
    „Beruflich?“ Sebastian lachte wieder, „Student?“ Er schüttelte den Kopf. „Dazu muß ich Ihnen erstmal eine wahre Geschichte erzählen, damit Sie wissen, wo’s lang geht bei uns im Osten. Also, die Geschichte meines älteren Bruders. Der hatte sich an der Kunsthochschule in Leipzig beworben. Das ist erst zwei Jahre her. Die Aufnahmeprüfung hatte er bestanden, das jedenfalls wurde ihm mitgeteilt. Es fehle nur noch ein betriebliches Führungszeugnis. Mein Bruder hatte zuvor als Praktikant in der Formerei einer Ziegelei gearbeitet. Das Zeugnis übergab man ihm im verschlossenen Kuvert zum Versand an die Hochschule. Er hatte kein gutes Gefühl und öffnete den Umschlag über Wasserdampf. Seine gesellschaftliche Einstellung entspreche seiner Herkunft, stand dort sinngemäß, sei also bürgerlich rückschrittlich und damit auch gegen den sozialistischen Staat gerichtet. Eine Änderung und Besserung sei nicht zu erwarten.
    Er schickte das Zeugnis zwar ab, bekam dann aber auch prompt die Ablehnung. Die ließen sogar deutlich durchblicken, daß er das diesem Zeugnis zu verdanken habe. Danach mußte er aus der Formerei und endete erstmal beim Ziegel karren.
    Inzwischen trank man das dritte Bier. Hoffmann rauchte viel, aber jede Zigarette nur gut zur Hälfte, der Gesundheit wegen, wie er spöttisch bemerkte.
    Irene nippte noch immer an ihrer ersten Cola. Nein, nein, Bier mochte sie nicht.

    „Die Unterhaltung hier interessiert mich“, erklärte Hoffmann. „Ich wohne zwar im Westen, habe aber auch mit dem zu tun, was da im Osten so abläuft. Und was macht Ihr Bruder jetzt?“
    „Na, Ziegel karren, wie ich schon sagte und Musik nebenher in so’ner Bigband. Die tingeln an Wochenenden in ’nem alten Bus herum, aus mehreren Wracks zusammengebaut, gefahren von einem Kriegsveteranen, der statt der rechten Hand einen Haken ins Lenkrad hängt. Der kennt alle Bäche, Gräben und Wasserlöcher in der Gegend, denn ständig muß Kühlwasser nachgefüllt werden.“
    „Das klingt ja abenteuerlich, aber da hat Ihr Bruder wenigstens einen Ausgleich für die schwere Knochenarbeit. Und Sie selbst, was treiben Sie nun eigentlich beruflich?“, wandte er sich an Sebastian.
    „Waldarbeiter“, sagte der, nahm einen langen Schluck aus seinem Glas und wischte sich mit dem Handrücken den Schaum aus dem Oberlippenbart. „Sie sehen ja die grüne Kleidung hier“, dabei griff er sich ans Revers seiner Joppe.“
    „Papperlapapp“, sagte Hoffmann, „warum wollen Sie mich veralbern?“
    „Will ich doch gar nicht.“
    „Na sicher“, und Hofmann trat einige Schritte zurück, musterte Sebastian, schüttelte den Kopf und lachte. „Ein typischer Holzfäller“, sagte er. Auch Irene amüsierte sich.
    „Facharbeiter“, erwiderte Sebastian grinsend, „Forstfacharbeiterlehrling noch genauer.“
    „Und warum das?“ fragte Hoffmann.
    „Anders kann man nicht Förster werden.“
    „Wollen Sie das denn?“
    „Na, besser als Briefträger, Kraftfahrer oder Grubenarbeiter …“
    „Ist das die ganze Palette?“
    „Nicht ganz, da gibt’s noch Bauarbeiter, Fabrikarbeiter, Landarbeiter …“
    „Hören Sie auf!“, winkte Hoffmann ab.
    „Arbeiter- und Bauernstaat“, sagte Sebastian achselzuckend. „Man kann zwar auch vom Landarbeiter schnurstracks zum Revierförster aufsteigen, das weiß ich, aber ich selbst werde vermutlich nicht mal zur Fachschule dürfen, es sei denn“, fügte er hinzu, „es sei denn ich heuchle eine falsche Überzeugung und sage mich offiziell von der Klasse los, in die man mich gesteckt hat. Sowas gibt’s, man kann konvertieren. Dann darf das Elternhaus sogar ein feudalistisches sein.“
    „Und was hindert Sie daran?“
    „Woran?“
    „Zu konvertieren.“
    „Es widert mich ganz einfach an, das ist alles.“
    „Können Sie sich’s denn leisten?“
    „Was meinen Sie, was soll ich mir leisten

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