Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman
bis Ende in Grusinien von hübschen jungen Mädchen singend Tee geerntet wurde.
„Irgendwie“, sagte Sebastian“, lief dort auch eine Liebesgeschichte noch mit durch, genau wie im Film „Sommerliebe“. Dort gab es Getreidefelder bis zum Horizont, überall wieder singende junge Frauen in hübschen Röcken und Blusen und bunten Kopftüchern. Reihen großer Mähmaschinen sah man bei der Arbeit. Und dann ein Soldat in Uniform, ein Offizier, ein Held der Sowjetunion, die Brust dekoriert mit Ordensspangen. Dazu dann eine der Erntehelferinnen mit verliebten Augen, aber da die Partei halt überall mit dabei ist, sprach das Paar sich brav mit Genosse und Genossin an. Dann das unvermeidliche dräuende Gewitter, am Horizont sich auftürmende Wolkenberge, die unaufhaltsam näherrückten. Schaffen sie es das Getreide trocken in die Scheunen zu bringen? Genosse und Genossin schwitzten beim Be- und Entladen der Erntewagen. Er riß sich die ordengeschmückte Uniformbluse vom Leibe, ihr verrutschte vor Eifer das Kopftuch. Die letzten Garben wurden bei zuckenden Blitzen und krachendem Donner herangefahren. In einer Staubwolke galoppierten die Pferde dahin, fiebernd erwartet, um auch die allerletzten Halme ins Trockene zu retten. Nach der Arbeit darfst du essen“, sagte Sebastian, „und alle versammelten sich nun zum Erntefest. Genosse und Genossin fanden sich zum Erntetanz, erst die Arbeit, dann die Liebe, ist doch klar.“ Sebastian lehnte sich grinsend im Sessel zurück.
Hoffmann lachte laut und schüttelte den Kopf. „Gott, o Gott“, sagte er, „wie schrecklich!
Irene lachte. Auch sie kannte den Film.
„Ähnlich schön ein anderer Film“, sagte Sebastian und richtete sich wieder auf: „Die Kumpel vom Donbaß. Das Ganze spielt in der Ukraine im Donezgebiet. Fördertürme sind zu sehen und Schachtanlagen... ganz offensichtlich geht es da um ganz was Neues, ein Riesenfortschritt im Kohleabbau. Immerzu sieht man zerkleinerte Kohle auf langen Förderbändern. Und dazu tritt natürlich der unvermeidliche Held auf, ein Held der Arbeit beim Wirken an einer Schrämmaschine.“
„Woran?“
„An einer Schrämmaschine.“
„Mit Verlaub, was ist denn das?“ Und Hoffmann sah Sebastian erstaunt an.
„So eine motorisierte Kohlefräse, die wie ein kreisrunder Bagger Kohle aus dem Flöz fräst oder eben schrämmt.“
„Aha“, sagte Hoffmann und nickte.
„Ja also, der Maschinist, schwarzes Gesicht vom vielen Kohlenstaub, bedient die Maschine, die sie dort als Combine bezeichnen. Und alles ist baff über die Leistung des Combine. Durch den Lärm immer wieder der Ruf: Ist das der Combine? Also eine ganz tolle Sache und alle sind begeistert: Ja, der Combine! Dazwischen über Tage eine hübsche Genossin und ein junger Kohlekumpel, natürlich verliebt. Aber nun ist der Combine das adäquate Werkzeug für einen Helden und mindestens einen solchen wünscht die hübsche Genossin sich.
Ihr Verehrer bedient jedoch nur so einen simplen Bohrhammer und was ist das schon gegen den Combine, das Heldenwerkzeug, das in aller Munde ist. Der Mann mit dem Hammer kommt dagegen natürlich nicht an. Alles Liebesflehen ist vergeblich. Der junge Kumpel will das durchaus nicht verstehen. Dann ein lauer Abend, rotgolden spannt der Himmel sich über dem Donbaß und der Villa des Kombinatsdirektors, der sich dort auf seiner weiten Terrasse ergeht. Unter ihm blinken die vielen Lichter des Reviers. Da plötzlich hört man von dort unten herauf die Stimme einer Frau, die ihrem Liebsten singend klar macht: Am Combine mußt du erst schaffen, dann darfst du mich freien...“
„Donnerlittchen“, unterbrach Hoffmann Sebastians Schilderung, „welch heiliger Ehrgeiz!“
„Ethik nennen die das, Ethik der Arbeit“, erklärte Sebastian. „Nur so wird der Kommunismus aufgebaut. Und halblaut murmelt der Genosse Direktor denn auch: Der neue Mensch! Von unten aus dem Revier blinken ungerührt die Lichter, als die Stimme der Zukunft verhallt. Also der junge Kumpel“, schloß Sebastian seine Erzählung, „der nimmt sich dieses Werben zu Herzen und dirigiert bald darauf auch einen Combine. Am Ende steht dann groß gefeiert eine Hochzeit. Na, ist das nichts?“ fragte er lachend.
Auch Hoffmann lachte. „Na ja, ein bißchen arg infantil diese Propaganda. Das Liebesversprechen an eine berufliche Qualifikation zu binden, damit auch an Ansehen und Lebensstandard, ist nur stinkbürgerlich und gar nichts Neues.“
Inzwischen war man bei der zweiten Flasche
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