Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman
Zigarrenrauch schlängelte sich in dünnen schwankenden Fäden und Fahnen ins abgeschirmte Lampenlicht, um dann im Dämmer des Raums zu verschwinden. Die Weinstube war an diesem Abend nur schwach besucht, es war ruhig und aus dem Hintergrund klang klassische Musik. Dann hörte er wieder die Stimme Hoffmanns, der immer noch nicht verstand, wieso Sebastian ausgerechnet Holzfäller sein wollte. Er schüttelte verständnislos den Kopf und Sebastian begriff allmählich, daß seinem Gegenüber ein komplexer politischer Zusammenhang völlig fehlte.
„Sie sind kein Berliner?“ fragte er.
Hoffmann verneinte. „Rheinländer“, sagte er.
„Sie wissen doch aber bestimmt, daß die DDR sich als Arbeiter- und Bauernstaat bezeichnet.“
„Ja und?“, fragte Hoffmann.
„Ja und, ja und“, wiederholte Sebastian leicht ungehalten. „Das geht schon in der Schule los. Die letzten Schuljahre bis zur achten Klasse hatte ich einen Lehrer, inoffizieller Parteisekretär der Schule und ehemaliger HJ-Fähnleinführer, der mich drückte, wo er nur konnte und auch noch dort, wo er es eigentlich nicht mehr konnte. Einmal wollte er mir sogar die Versetzung vermasseln, kam zu seinem Leidwesen damit aber nicht durch. Keine weiterführende Schule! Ich bewarb mich zwar, aber bei Ablehnungen wie natürlich in meinem Fall schreibt man nun nicht ‘Kinder des Klassenfeinds sind unerwünscht’ - so primitiv geht man nicht vor. Auf einem Zettelchen, der Durchschrift eines Originals, mit Bleistift vom Kreisschulrat unterzeichnet, hieß es: ‘Grund der Ablehnung: Kontingent erfüllt.’ Und das war’s dann auch, Einspruch sinnlos. Danach war mir’s egal, was ich machte. Wenn ich im Westen mündig bin, haue ich sowieso ab.“
„Mit einundzwanzig“, sagte Hoffmann und schob dabei sein Weinglas nachdenklich an einem Muster der Tischdecke entlang. Dann blickte er Sebastian an. „Sie könnten uns helfen“, und er nahm einen Schluck aus seinem Glas. „Wir müssen wissen, was dort im Osten vor sich geht. Dabei interessieren uns vor allem die Russen, also ihre militärischen Anlagen, Bewaffnung, Truppenstärken, Standorte und alles, was damit zusammenhängt. Dabei sind auch Kleinigkeiten wichtig wie etwa Fahrzeugnummern... Die Abwehrbereitschaft des Westens kann nur auf der aktuellen Höhe sein, wenn wir jederzeit wissen, was dort im Osten geschieht, was die vorhaben. Dazu brauchen wir unauffällige Leute, die begreifen, worum es geht. Sie sind zwar noch sehr jung und ob Sie das wollen, können nur Sie wissen. Ich möchte Sie keinesfalls drängen oder überreden.“
Geheimdienst, ging es Sebastian durch den Kopf.
Als ob Hoffmann diesen Gedanken gelesen hätte, sagte er: „Ich spreche hier vom Nachrichtendienst, einer deutschen Organisation.“
Fast schon Kitsch, dachte Sebastian, sowas gibt’s doch nur in billigen Dreigroschenheftchen.
„Uns gibt’s noch nicht lange“, erklärte Hoffmann. „Viele von uns sind ehemalige Abwehroffiziere. Wir müssen einen Nachrichtendienst erst aufbauen. Geld und Leute fehlen. Wir arbeiten mit Amerikanern zusammen, auch mit den Briten.“
Sebastian zitterten ein wenig die Hände. Er bemerkte das, als er sein Weinglas anhob.
„Das regt Sie auf?“, fragte Hoffmann.
„Ich hatte sowas natürlich nicht erwartet“, antwortete Sebastian.
„Vergessen Sie’s erstmal. Zu Hause können Sie in Ruhe darüber nachdenken. Ich schreibe Ihnen hier eine Nummer auf, unter der Sie mich erreichen können. Prägen Sie sich das ein und werfen Sie den Zettel auf alle Fälle weg, fein zerrissen, am besten noch hier, in einen Gully.“
Sebastian verstaute das Papier in der Brusttasche seines Jacketts.
„Nehmen Sie das nicht mit nach drüben“, mahnte Hoffmann.
„Ich werfe es hier noch weg“, versicherte Sebastian. Aber irgendwie war ihm dieser Zettel auch ein Beleg für die Wirklichkeit des Erlebten.
Irene benahm sich bei alldem merklich zurückhaltend und auch Hoffmann schloß sie, so schien es Sebastian wenigstens, nur selten ins Gespräch ein, auch als dieses im weiteren Verlauf des Abends den streng politischen Akzent etwas verlor und allgemeiner wurde. Man kam auf Filme, Westfilme und auf Bücher zu sprechen, die es im Osten nicht gab, die dort unerwünscht waren. Hier konnte Sebastian mit dem Inhalt tödlich langweiliger sowjetischer Romane aufwarten, die Hoffmann nicht kannte und auch mit vielen sowjetischen Filmen wie beispielsweise „Glückstrahlende Augen“, ein Film, in dem so ziemlich von Anfang
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