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Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Titel: Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimund August
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„vielleicht“, sagte er nach einer kurzen Pause und mit einem ironischen Lächeln um die Mundwinkel, „vielleicht bin ich auch ein bißchen neugierig. Es ist ja schließlich recht kostspielig in jeder Hinsicht, erstmal in so ne Lage zu kommen und ein Zuchthaus von innen zu erleben.“
    „Das kann man wohl sagen“, erklärte seine Mutter und Schwester Karin schüttelte traurig den Kopf: „Der Sasse ist ein Schwein“, sagte sie „ wobei ich den Schweinen keineswegs zu nahe treten will. Ich kann das einfach nicht begreifen“, ereiferte sie sich, „wie kann man denn so noch in den Spiegel gucken?“

    In Sebastian machte sich eine zunehmende Unruhe breit. Er empfand das Besondere dieses Tages, dieser Abschiedsminuten nicht nur von Mutter und Schwester. Es war, das spürte er, ein Abschied vor allem von sich selbst. Alles ging weiter, blieb oder veränderte sich und er überschritt jetzt in diesen Minuten eine Grenze, hinter die er nie mehr zurückkehren würde. Er trat ans Fenster, sah hinaus und suchte nach dem Begriff, der das alles benennen konnte, doch dieser fand sich nicht ein. Es war wie ein graues Tor, durch das er in ein dunkles Land gehen mußte. Alles, was bisher galt, seine Familie, das was er unter Freundschaft verstanden hatte, aber auch der Westen, der nur noch wie ein goldenes Abendrot vom fernen Horizont herüberleuchtete, all das fiel ab und blieb endgültig zurück. Vieles würde eines Tages eine andere, eine neue Bedeutung für ihn haben.
    „Verlassen Sie bitte den Raum“, forderte einer der Posten die Angehörigen auf, „die Strafgefangenen werden in Kürze weggebracht.“
    „Also macht’s gut“, sagte Sebastian. Mutter und Schwester umarmten ihn noch einmal. Dann sah er sich um, ging ein paar Schritte zu Pfarrer Kunzmann: „Wir sehen uns wieder, wenn wir das alles überlebt haben“, sagte er und schüttelte dem Pfarrer die Hand.
    „Das wollen wir hoffen“, antwortete der, „ich denke ihr beide“, dazu legte er auch seinem Sohn, der neben ihm stand, die Hand auf die Schulter, „habt den Mut und die Kraft das durchzustehen.“ Von Gott war dabei keine Rede, es sei denn im Sinne vielleicht des „ Hilf dir selbst, so hilft dir Gott“.
    Zum Schluß reichte Sebastian noch Pfarrer Nehring die Hand, der ihm ebenfalls Mut und Kraft wünschte, mit Gottes Hilfe diesmal.
    Auch Totila drehte seine Abschiedsrunde, dabei konnte man ihm ansehen, daß auch ihm klar war, daß hier nicht ein ganz gewöhnliches Abschiednehmen vor sich ging, denn ihn erwartete ja ebenfalls das „graue Tor“, vor dem alles zurückblieb, was bisher sein Leben bestimmt hatte. Ob in einer späteren Zukunft daran noch einmal anzuknüpfen sein würde, blieb ungewiss. Auch mußte diese Zukunft ja erst einmal erreicht werden.
    Die drei Verurteilten begleiteten ihre Leute bis zur offenstehenden Tür.
    „Sie bleiben dort stehen“, wurde ihnen von einem der Uniformierten bedeutet, indem er dazu mit der Hand auf die Türschwelle wies.
    Hier ist die Grenze, sagte Sebastian sich, eine schlichte Türschwelle, nichts weiter, über die sie aber noch ihre Köpfe recken konnten, um ihren Angehörigen nachzublicken, die sich über diesen dämmrigen Gerichtskorridor immer weiter entfernten, bis sie am Ende ins Treppenhaus abbogen.
    Zuletzt sah Sebastian noch seine Schwester, wie sie eine Sekunde stehen blieb, zurückblickte und dazu die Hand hob, bis auch sie verschwand.
    Wenn ich sie wiedersehen sollte, ging ‘s ihm durch den Kopf, wird sie, die kleine Schwester, längst erwachsen sein.

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