Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Titel: Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimund August
Vom Netzwerk:
besuchen. Doch wenn das tatsächlich so war, das mit dem Diplomaten, weshalb dann dieser Aufenthalt im Flüchtlingslager? Na, was soll’s, die Frage war vielmehr, wie lange er hier noch warten sollte.
    Als er dann zufällig wieder mal zur Tür blickte, sah er sie plötzlich, sie kam durch die hohe Glastür und steuerte die Treppe an. Er wollte schon aufspringen als er bemerkte, daß der Pförtner sie ansprach und Irene sich langsam umwandte. Er stand auf und hob den Arm. Sie winkte zurück, kam dann quer durch die Halle und schien von Sebastians Besuch überrascht. „Wo kommst du denn her?“
    „Wir wollten dich nur mal besuchen“, sagte er, „vielleicht kommt auch Hans-Peter noch. In Lübbenau beim Umsteigen habe ich erst gemerkt, daß er gar nicht im Zug war. Umkehren wollte ich dann auch nicht mehr. Verabredet waren wir jedenfalls.“
    Irene schüttelte den Kopf und beide setzten sich an den Tisch, an dem Sebastian gewartet hatte. „Wir haben ja noch Zeit“, sagte sie und sah auf eine winzig kleine Armbanduhr. „Jetzt ist es gleich drei. Bis sechzehn Uhr können wir hier noch warten, danach kann er nur noch am Abend aufkreuzen.“
    „Nee“, sagte Sebastian, „dann kommt der bestimmt nicht mehr, am Abend, was soll er dann noch hier? Ich verstehe das wirklich nicht. Aber gut, dann warten wir eben. Was ist das eigentlich für ‘ne tolle Villa? Ich sehe dauernd bloß junge Mädels die Treppe da rauf- und runterlaufen.“
    „Die gibt’s hier nur“, erklärte Irene. „Besucher sind dann hauptsächlich Eltern und Geschwister. Hin und wieder mal ein Freund, auch eine Freundin.“
    „Die sind doch höchstens sechzehn“, und Sebastian blickte zwei kichernden Backfischen nach, die durch die Eingangstür kamen und über die Treppe verschwanden.
    Irene zuckte die Achseln. „Meist haben Eltern die ja selbst hergebracht.“
    „Aber wenn sich die Stasi dahinter klemmt?“
    Irene nickte. „Das sind die Konflikte hier.“
    „Ich verstehe. Aber als so junges Mädel einfach abzuhauen …?“
    „Die meisten haben Verwandte im Westen.“
    „Hab’ ich auch“, sagte Sebastian. „Aber wer will schon Verwandten zur Last fallen? Und was wissen die im Westen überhaupt von den Verhältnissen bei uns?“
    „Ist schon richtig“, sagte sie, „aber wir können’s ja nicht ändern. Laß uns das Thema wechseln. Was gibt’s denn Neues in Großräschen?“
    „In Großräschen?“ Sebastian sah sie an.
    Sie lachte. „Na ja, wie geht’s dir selbst und was macht Moses?“
    „Dein Bruder … vielleicht kommt der ja noch. Da mußt du ihn schon selbst fragen. Ich weiß nur, daß die Schule ihn ank… na, du weißt schon.“
    „Kann ich mir denken“, sagte sie.“
    „Ach ja, was Neues natürlich, und Sebastian faßte sich an den Kopf. Fast hätte ich’s ja vergessen, die Armee! Die wollten mich anwerben. Ich bei der Armee!“ Er lachte und schüttelte den Kopf. „Schriftliche Einladung ins Haus der Jugend. Das werden die an viele verschickt haben, aber ich wollte mal sehen wie die das drehen, einfach so aus Neugier. Ich also hin, klopfe an die Tür und dann rein. Du kennst ja das Haus der Jugend.“
    Irene nickte.
    „Gleich unten links den Flur entlang“, erklärte er, „und dort die zweite Tür. Also, da standen zwei Typen hinter einem Schreibtisch, der eine im FDJ-Blauhemd, der andere in Uniform, die neue Armee-Uniform. Man hätte bald denken können, da steht einer aus der Wehrmacht. Interessant dabei war aber ein junger Bursche. Ich konnte nicht gleich erkennen wie alt der war. Der stand dort am Schreibtisch mit dem Rücken zu mir. Aber das eine kann ich dir sagen, der hat denen vielleicht die Leviten gelesen, da war alles dran.
    Eine groteske Zumutung ihn hierher zu bestellen, sagte er denen. Es sei keine zwei Jahre her, da sei er aus sibirischen Bergwerken gekommen als einer von nur fünfzehn Überlebenden von über zweihundert Jugendlichen aus Großräschen, die man 1945 verschleppt hätte, weil sie als Hitlerjungen an Karabiner, Maschinengewehr und Panzerfaust ausgebildet worden seien. Er lehne Waffen und Uniformen strikt ab, egal für wen, sagte er den beiden. Sie seien damals dem Volkssturm zugeteilt worden, dieser sei in Großräschen aber nie in Aktion getreten und folglich hätten sie auch keinen einzigen Schuß abgegeben. „Wir waren damals Kinder als man uns abholte, die Jüngsten erst dreizehn, die hatten nie eine Waffe auch nur von nahem gesehen, sind aber als Jungfaschisten mitgeschleppt

Weitere Kostenlose Bücher