Als die schwarzen Feen kamen
dazu. Kunst langweilte ihn. Es gab dort nichts für ihn zu lernen.
Als er ein weiteres Mal an dem kleinen Café vorbeikam, über dem im Dachgeschoss seine Wohnung lag, beschloss er, die Kunststunde heute ganz ausfallen zu lassen und stattdessen weiter an seinem Bild zu arbeiten. Je länger er darüber nachdachte, desto sicherer war er, dass das Mädchen und das Bild auf irgendeine Weise miteinander verbunden waren. Ein seltsam bedrückendes Gefühl beschlich ihn jedes Mal, wenn er an die verschwommenen, undefinierten Flecken auf der Leinwand dachte– die gleiche Beklemmung, die er auch gespürt hatte, als er das Mädchen beobachtete. Er musste herausfinden, was dahintersteckte. Irgendetwas war mit den Feen in ihrem Schatten, etwas Bedrohliches, das sie von all den anderen finsteren Gestalten unterschied, die seit so vielen Jahren Gabriels Sicht auf die Welt prägten. Aber er konnte nicht sagen, was es war und inwiefern es ihn überhaupt betraf.
Eine Gänsehaut kroch über seine Arme, und er spürte, wie ihm das Atmen schwerer fiel. Er würde dieses Geheimnis nicht allein ergründen können, dachte er unbehaglich. So wie sich die Dinge darstellten, würde er auf etwas zurückgreifen müssen, das er seit vielen Monaten nicht mehr genutzt hatte: Er brauchte die Augen der Bestie. Nur sie konnte erkennen, was sich hinter dem Schleier im Schatten des Mädchens verbarg. Und sein Instinkt sagte Gabriel, dass dieses Etwas Grund genug war, zu solchen Methoden zu greifen. Denn so unklar wie heute hatte er schon lange nichts mehr gesehen.
Das Café Orca– im Schanzenviertel wegen seiner selbst gebackenen Kuchen und der hausgemachten Limonade ein weit verbreiteter Geheimtipp– war wie immer gut besucht. Joachim › Joe ‹ Fischer, seines Zeichens der Inhaber und gleichzeitig Gabriels Vermieter, stand hinter der wuchtigen alten Theke und unterhielt sich mit einigen Stammkunden. Larissa, eine der studentischen Aushilfen, lief geschäftig durch den Raum und winkte Gabriel nur kurz zu. Das flammende Haar ihrer Schattenkreatur züngelte zwischen ihren dunkelblonden Locken hervor.
Gabriel ignorierte die gespaltene Schlangenzunge, die– von Larissa selbst unbemerkt– lasziv über die Lippen der jungen Frau glitt, während sie bei einem attraktiven männlichen Gast die Bestellung aufnahm. Er winkte zurück, schlängelte sich zwischen den Tischen hindurch und schob sich hinter die Theke. Der einzige Weg zum Treppenhaus und damit auch seiner Wohnung führte hier entlang, wenn er nicht die Feuertreppe nutzen wollte. Und das war bei diesem Wetter alles andere als ratsam.
Joe hob die Brauen und stemmte die muskulösen Arme in die Hüften, als er ihn bemerkte. » Na so was. Senhor da Silveira… Sind Sie nicht ein bisschen früh dran?«
Gabriel lächelte und kramte seinen Schlüssel aus der Tasche. Es war sehr angenehm, dass Joes Schatten für gewöhnlich formlos im Hintergrund seines Wirts blieb, und er fand es auch nach einem Jahr immer noch rührend, wie väterlich sich sein Vermieter um ihn kümmerte, wann immer er die Gelegenheit dazu bekam. Und das, obwohl er mit seinen einunddreißig Jahren doch etwas zu jung war, um Gabriels wirklicher Vater zu sein.
» Wann muss ich heute anfangen?«
» Um sechs.« Joe hob die Schultern, ohne seine vorwurfsvolle Haltung aufzugeben. » Junge, schwänzt du schon wieder?«
» Kunst fällt heute aus.« Gabriel zwinkerte. » Keine Sorge, das geht in Ordnung. Bis später dann.«
Joe zog die Brauen zusammen, sagte aber nichts. Gabriel war ihm dankbar dafür. Joe war um ihn besorgt, aber er drang nie zu weit in Gabriels Privatsphäre vor. Ganz anders als seine echten Eltern. Er war froh, dass er sich darum nicht mehr kümmern musste. Auch wenn der Gedanke an sie noch immer wie ein spitzer Dorn in seinem Herzen steckte.
Er schlüpfte durch die Tür ins Treppenhaus und kletterte die enge, dunkle Treppe zu der winzigen Wohnung hinauf, die er seit nun fast dreizehn Monaten bewohnte. Das vertraute Knarren im alten Holz der Wohnungstür hieß ihn willkommen. Das Bild stand noch immer auf der Staffelei beim Fenster, wo er es am Morgen zurückgelassen hatte: düstere Flecken in Rot, Braun, Grau und Schwarz. Sonst nichts.
Mit einem Seufzer streifte Gabriel die Schuhe ab und warf Mantel, Schal und Handschuhe auf sein Sofa. Dann trat er näher an das Bild heran. Das seltsame Gefühl der Beklemmung griff erneut nach seiner Brust, als er die verschwommenen Umrisse betrachtete. Gabriel starrte auf die
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