Als die schwarzen Feen kamen
keine Ahnung. Es gab nun einmal Dinge, die sie ihrer Mutter nicht erzählen konnte, weil sie das Gefühl hatte, dass sie sie einfach nicht verstand. Und es war ja nicht so, dass Marie sie nicht mochte, im Gegenteil. Sie liebte ihre Mutter, die die allermeiste Zeit fröhlich, fürsorglich und zärtlich war. Aber manchmal war sie eben auch aufbrausend und oft gestresst, und sie neigte gerade dann zu Überreaktionen, wenn sie sich sorgte. Wenn Marie einen Anfall hatte, hatte sie jedes Mal das Gefühl, ihre Mutter litte noch weit mehr darunter als sie selbst. Und darum konnte sie nicht mit ihr darüber reden. Ihr nicht die Angst beschreiben, die sie am ganzen Körper zittern ließ, wann immer dieser dunkle Fleck in ihrer Brust anfing zu flattern, und auch nicht den Schmerz, der direkt aus ihrer Seele zu kommen schien. Marie hatte sich schon oft gewünscht, dass es anders wäre. Aber es ging nicht. Es ging einfach nicht.
» Ich… ich komm zu spät zur Schule«, murmelte sie mit einem Blick zur Uhr, froh über einen Vorwand, sich aus dieser unangenehmen Situation fortstehlen zu können.
Ein mühsam gefasstes Lächeln stahl sich auf das Gesicht ihrer Mutter. Sie ließ Maries Hand los und strich ihr flüchtig über den Oberarm. » Ja, ich weiß. Na dann los mit dir. Und vergiss dein Handy nicht. Ich sage dir Bescheid, sobald ich mit Dr. Roth gesprochen habe, okay?«
Marie nickte und trat einen Schritt zurück, um nach ihrer Frühstücksdose zu greifen. Dann gab sie ihrer Mutter einen Kuss auf die Wange und drückte sie fest. Sie wusste einfach nicht, wie sie sonst um Verzeihung bitten sollte. » Bis später, Mama. Ich hab dich lieb.«
Karins Lächeln wurde ein wenig heller. Ein Funke Erleichterung leuchtete in ihren Augen auf. » Ich dich auch. Bis später, Liebes.«
Für einen Augenblick hatte Marie den Eindruck, als wollte ihre Mutter noch etwas sagen, könnte es aber nicht über sich bringen, die Worte auszusprechen. Doch Marie wartete nicht länger darauf. Mit einem letzten Lächeln griff sie nach ihrem Rucksack und verließ eilig die Wohnung.
Im Bus, der sie zur Schule brachte, steckte sie sich ihre Kopfhörer in die Ohren und drehte die Musik so laut, dass es fast schmerzte. Aber so hörte sie die anderen Leute wenigstens nicht, die lachten und redeten. Vor lauter Nervosität machte sich in ihrer Brust ein unangenehmes Kribbeln breit. Das Treffen mit Theresa war nun ganz nah, und auch wenn Marie es nur ungern zugab: Sie hatte keine Ahnung, wie sie sich verhalten sollte. Was sollte sie sagen? Sollte sie einfach so tun, als wäre nichts gewesen? Marie war mehr danach, ihrer Freundin erst einmal einen kräftigen Schlag in die Magengrube zu verpassen– und sie danach in den Arm zu nehmen, damit sie sich gegenseitig verzeihen konnten. Aber natürlich würde sie nichts dergleichen tun, solange andere Menschen in der Nähe waren.
Marie drehte die Lautstärke noch etwas weiter auf. Elektrische Gitarren schrien ihr ins Ohr, sodass sie glaubte, taub zu werden. Am liebsten wäre sie einfach sitzen geblieben und immer weitergefahren. Aber es half ja nichts. Marie seufzte und starrte auf die Anzeige über der Tür. Noch zwei Stationen. Sie konnte nicht weglaufen.
An der Haltestelle Schlump stieg sie aus, um den Rest des Weges zu Fuß zu gehen. Die winterlichen Straßen boten ein trostloses Bild, das gut zu Maries düsterer Stimmung passte. Ein Großteil des Schnees war inzwischen dem Streusalz zum Opfer gefallen, der Rest war zu grauem Matsch zertreten worden. Schon von Weitem sah sie Theresa auf dem Parkplatz vor der Schule warten, wo sie sich jeden Morgen trafen. Sie redete lebhaft auf Jenny ein, ihre gemeinsame Freundin, die seit dem vorletzten Sommer in ihre Klasse ging, weil sie die neunte wiederholen musste. Jenny war fröhlich, liebenswert und konnte stundenlang über Klamotten und Make-up quatschen. Zwischen ihr und Theresa hatte es sofort gefunkt, und seitdem war ihr Duo ein Trio. Ein unzertrennliches Trio, dessen Mitglieder man nur selten allein sah– und in dem Marie sich bei aller Freundschaft in letzter Zeit immer öfter fehl am Platz fühlte. Seit gestern erst recht.
Als sie sich den beiden näherte, verstummte das Gespräch.
» Guten Morgen, Hase!« Jenny umarmte Marie und gab ihr ein Küsschen auf die Wange.
Auf Theresas Gesicht erschien ein zaghaftes Lächeln, und auch sie nahm Marie zur Begrüßung in den Arm.
» Hi.«
Marie schluckte mühsam. Das » Guten Morgen« wollte ihr einfach nicht über
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