Als die schwarzen Feen kamen
Körper.
» Danke, dass du da warst«, flüsterte sie. Mehr wusste sie nicht zu sagen.
Eine ganze Weile blieben sie einfach so sitzen und lauschten dem Atem des anderen, während die aufgehende Sonne langsam den blassen Winterhimmel emporkletterte und das Morgenlicht Gabriels Wohnung erhellte. Vermutlich hätten sie ewig so dagesessen– wenn nicht plötzlich ein Gedanke in Maries Kopf aufgetaucht wäre, der mit einem Schlag ihre innere Ruhe zerstörte.
» Meine Mutter!« Sie ließ Gabriel los und richtete sich hastig auf. Was war aus ihrer Mutter geworden, jetzt wo das Tor geschlossen war? Sie war sich ziemlich sicher, dass es ihr gut gehen musste. Dass allein die Tatsache, dass die Feen fort waren, ihr Kraft gegeben hatte. Trotzdem wollte sie es mit eigenen Augen sehen– und vor allem ihre Mutter endlich wieder in die Arme schließen, ohne Angst um sie haben zu müssen.
» Ich muss ins Krankenhaus! Ich muss nach ihr sehen!« Schnell schwang sie die Beine vom Sofa und wollte schon auf die Füße springen– als eine Hand an ihrem Arm sie zurückhielt. Verwirrt drehte sie sich zu Gabriel um. Zwischen seinen Brauen war die kleine Falte erschienen, die Marie inzwischen so gut kannte, und in seinen Augen lag ein seltsamer Ausdruck.
» Was ist los?« Sie spürte, wie ihr Herz schneller schlug unter diesem Blick. So hatte er sie noch nie angesehen.
» Kommst du wieder?« Seine Stimme klang merkwürdig rau. Tiefer als sonst. » Jetzt, wo alles vorbei ist, meine ich.« Unter dem vibrierenden Timbre zog sich Maries Magen kribbelnd zusammen, und sie spürte, wie ihre Hände feucht wurden. Bildete sie sich das ein, oder…?
» Wenn ich darf«, flüsterte sie tonlos. Ihre Stimme schien plötzlich den Dienst zu versagen. Gabriel zog ein wenig stärker an ihrem Arm, und sie ließ es geschehen, bis sie beinahe auf seinem Schoß lag. Er beugte sich über sie und sah ihr fest in die Augen.
» Du darfst hier sein, wann immer du willst. Das weißt du doch.«
Maries Mund wurde trocken. Gabriels Haare kitzelten ihre Wange, als er sich noch tiefer zu ihr herunterbeugte. Dann streiften seine Lippen ihre, und ein heißes Prickeln jagte durch ihren ganzen Körper. Für diesen einen, ewigen Augenblick war jeder andere Gedanke, selbst der an ihre Mutter im Krankenhaus, vollkommen ausgelöscht. Sie spürte nur noch Gabriels weichen Mund auf ihrem, und seine Fingerspitzen, die sanft ihre Wange und ihren Hals hinab bis zu ihrer Schulter glitten, wo sie behutsam auf und ab strichen. Wie von weit entfernt glaubte Marie, ein tiefes, zufriedenes Grollen zu hören. Das Biest. Der Schatten. Er war ganz in der Nähe. Aber Marie fürchtete sich nicht.
Als Gabriel sich schließlich wieder aufrichtete, war ihr schwindelig, und es fiel ihr schwer, einen klaren Gedanken zu fassen, der nicht sofort von diesem unglaublichen Glücksgefühl wieder fortgeschwemmt wurde.
Gabriel räusperte sich leise, als müsste er genau wie sie das raue, atemlose Gefühl aus seiner Kehle vertreiben, bevor er sprach. » So«, sagte er und stupste sie leicht in die Seite. » Jetzt kannst du meinetwegen zu deiner Mutter gehen.« Seine Wangen waren gerötet, und seine Stimme klang noch immer ein wenig unsicher, obwohl er sich sichtlich bemühte, einen lockeren Tonfall anzuschlagen.
Marie setzte sich auf. Ihr schwirrte der Kopf, und ihr fiel kein einziger vernünftiger Satz ein, mit dem sie hätte antworten können. Also nickte sie nur stumm. Doch während sie sich vorsichtig auf wackelige Beine stellte, wünschte sie sich nur, er würde sie noch einmal so zurückhalten.
Gabriel stand nun ebenfalls auf und begleitete sie die wenigen Schritte bis zur Tür seiner Wohnung. Erst jetzt fiel Marie die Wolldecke auf, die neben der Tür lag und einen unförmigen Haufen zu verdecken schien. Sie konnte nichts Genaueres erkennen, weil Gabriel sich davorgestellt hatte und ihr die Sicht versperrte. Und auf dem Flur war das Fenster in der Stahltür zersprungen, die zur Feuertreppe führte. Ein mulmiges Gefühl zerrte für einen Augenblick an Maries Magen. Was war passiert, während sie auf der anderen Seite gewesen war?
Aber noch ehe sie länger darüber nachdenken konnte, legte Gabriel seine Hand an ihre Wange und sah ihr in die Augen.
» Frag nicht danach«, bat er. » Nicht jetzt. Es ist vorbei, und wir haben noch unendlich viel Zeit, um später darüber zu reden. Einverstanden?«
Marie nickte. So wie er sie ansah, brachte sie es einfach nicht über sich, ihm zu widersprechen.
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