Als die Tiere den Wald verließen
könnte mehrere kleine Feldmäuschen und Wühlmäuschen im Mund tragen, und ich wäre so vorsichtig, daß sie überhaupt nichts spüren würden.« Ihre Zunge zuckte aufgeregt. »Am liebsten würde ich die dicken tragen«, fuhr sie verträumt fort. »Und der Kauz könnte ein kleines Kaninchen oder zwei in seinen Klauen tragen, oder nicht, Kauz?«
»Du hast für diese Situation ganz und gar nicht die richtige Geisteshaltung, Kreuzotter«, tadelte der Dachs. Er schaute teilnahmsvoll zu den kleineren Tieren, die sich so weit wie möglich von der Kreuzotter entfernt zusammendrängten. »Wie gewöhnlich denkst du nur daran, wie du dir einen persönlichen Vorteil verschaffen kannst. Ich weiß, was du denkst, und das ist unmöglich. Absolut unmöglich. Wir sind eine Gemeinschaft, die sich in einer gefährlichen Krise befindet. Du kennst den Schwur.«
»Es war lediglich ein Vorschlag«, zischte die Kreuzotter mit einem kaum verhohlenen boshaften Seitenblick. Sie war wenig beeindruckt von der Wirkung, die ihre Worte auf die Feldmäuse und die Wühlmäuse hatten. »Beruhigt euch, Mäuse«, sagte der Dachs besänftigend. »Beruhigt euch, Kaninchen. Hier in meinem Bau wird euch nichts geschehen.«
Als wieder Ruhe eingekehrt war, sagte eines der Eichhörnchen: »Könnten wir nicht nach Wasser graben?« Der Dachs warf dem Maulwurf einen Blick zu. Doch dieser schüttelte seinen schwarzen, samtigen Kopf. »Nein, ich glaube nicht, daß das möglich ist«, sagte er. »Ich fürchte, das wäre lediglich eine Kraftverschwendung.«
Alles schwieg, und jedes Tier zerbrach sich den Kopf nach einem Ausweg. Die Zeit verging. Plötzlich erklang von draußen aus dem Gang eine Stimme: »Hallo! Ist da wer? Ist da wer?« Das Wiesel rannte zur Tür. »Ich sehe, daß sich da etwas bewegt!« teilte es den anderen mit. Dann rief es hinaus: »Ich bin das Wiesel! Die anderen Tiere sind auch da ... Meine Güte, es ist die Kröte!«
»Ich habe euch überall gesucht«, sagte der Neuankömmling, als er in den Raum stolperte. »Ich habe mir solche Sorgen gemacht! Ich dachte, ihr hättet alle den Wald verlassen. Dann habe ich Stimmen gehört.« Die Kröte setzte sich, um zu verschnaufen. »Und die Lichter habe ich auch gesehen.«
»Kröte, was ist bloß mit dir passiert?« rief der Dachs, während sich alle Tiere um ihn versammelten. »Wir hatten dich schon aufgegeben. Wo in aller Welt warst du? Wir haben dich seit dem letzten Frühling nicht mehr geschehen! Und wie dünn du bist! Meine Liebe, du mußt uns erzählen, was dir zugestoßen ist!« »Ich... ich war auf einer langen Reise«, sagte die Kröte. »Ich erzähle euch alles, wenn ich wieder zu Atem gekommen bin.«
»Hast du in letzter Zeit etwas gegessen?« fragte der Dachs besorgt.
»O ja - ich bin nicht hungrig, nur müde.« Das Auf und Ab ihrer gefleckten Brust wurde nach und nach schwächer, als sie sich von ihren Anstrengungen erholte. Die anderen Tiere warteten geduldig. Dann warf die Kröte müde einen Blick in die Runde. »Man hat mich eingefangen, wißt ihr«, erklärte sie. »Letzten Frühling ist das passiert, am Teich! Sie haben mich weit mitgenommen - oh! Furchtbar weit! Ich dachte, ich würde keinen von euch jemals wiedersehen.« Sie hielt an, und einige der anderen Tiere gaben mitfühlende Laute von sich.
»Aber schließlich gelang es mir zu fliehen«, fuhr die Kröte fort. »Ich habe Glück gehabt. Natürlich wußte ich, daß ich hierher zurückkehren mußte - zu dem Teich, in dem ich geboren wurde. Deshalb brach ich noch am selben Tag auf. Und abgesehen von den Wintermonaten habe ich mich seitdem stetig vorwärts bewegt: langsam, aber sicher, Kilometer um Kilometer, soviel ich eben pro Tag schaffen konnte.« Der Fuchs schaute den Dachs an, und der Dachs nickte traurig.
»Meine liebe Kröte, ich... es tut mir leid, aber wir haben schlechte Nachrichten für dich«, sagte der Fuchs. »Sehr schlechte Nachrichten.«
Die Kröte blickte rasch auf. »Was für ... Nachrichten?« fragte sie mit schwankender Stimme. »Dein Teich ist weg. Sie haben ihn zugeschüttet!«
3
Die Geschichte der Kröte
Die Kröte schaute den Fuchs mit einem Ausdruck ungläubigen Entsetzens an. »Aber... aber... das konnten sie doch nicht tun!« flüsterte sie. »Dort bin ich doch zur Welt gekommen! Meine Eltern sind dort zur Welt gekommen ... und alle meine Verwandten und Bekannten! Und jeden Frühling haben wir dort ein Treffen. Alle Kröten dieser Gegend verlassen ihre Erdlöcher und begeben sich an ihren Geburtsort.
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