Als die Uhr dreizehn schlug
verstehen, und seine Gedanken schweiften ab. Wieder dachte er an die Eibe, die er jenseits des Gartenzauns gesehen hatte. »Dieser Zaun ist sicher leicht zu überklettern«, sagte er sich.
Den restlichen Tag verbrachte Tom damit, seinen Plan auszuhecken. Er schrieb auch an Peter – den ersten einer wichtigen Reihe von Berichten. Er schilderte Peter, so gut er konnte, was letzte Nacht geschehen war, und er berichtete ihm von seinen Absichten für heute Nacht. Er hatte vor, in den angrenzenden Garten zu klettern und die Eibe dort zu untersuchen, weil sie – gewiss – einer der Bäume gewesen war, die er in seinem Garten gesehen hatte. Er würde sie umrunden; er würde hinaufklettern; er würde sie nach irgendeinem Hinweis absuchen.
Als er den Brief beendet hatte, schrieb er oben auf das Blatt N. D. L. V. Das stand für Nach Dem Lesen Verbrennen. All seine Briefe an Peter trugen von nun an diese Anweisung. Nur die Postkarte des Turms von Ely nicht und nur sie überlebte.
An diesem Abend ging Tom wie üblich zu Bett und blieb absichtlich wach. Bei Onkel und Tante schien es so lange zu dauern, bis sie zu Bett gingen und einschliefen! Zweimal döste Tom ein, schreckte dann wieder auf und ging zur Schlafzimmertür, um hinauszuspähen. Unter der Tür des anderen Schlafzimmers war immer noch Licht zu sehen. Beim dritten Mal war es verschwunden; und nachdem Tom wenigstens ganz kurz abgewartet hatte, weil er vorsichtig sein musste, schlich er hinaus und wie in der Nacht zuvor die Treppe hinunter in den Hausflur.
Ich hoffe, der Mond ist schon aufgegangen, dachte Tom. Ich brauche Licht, um über den Hof zu kommen. Es wäre mehr als ärgerlich, wenn ich da draußen Lärm machen würde – wenn ich über die Mülleimer oder den Wagen oder was auch immer stolperte.
Die Standuhr schlug gerade dreizehn, als er die Finger am Türrand emporgleiten ließ, um den Knopf des Schlosses zu finden. Er fand ihn nicht. Noch einmal tastete er die Tür ab. Da war kein Yale-Schloss.
Das begriff er nicht; doch er versuchte es mit dem Riegel. Er war vorgeschoben worden. So war die Tür jetzt verschlossen. Jetzt begriff er – er wusste es! Mit zitternden Fingern schob er den Riegel zurück in seinen gut geölten, rostfreien Sockel.
Die Standuhr schlug weiter und weiter. Oben im ersten Stock wachte Alan Kitson davon auf und zuckte ärgerlich die Schultern: »Es ist Mitternacht. Was zum Teufel will denn die Uhr schlagen?«
Seine Frau antwortete ihm nicht.
»Schlägt Stunde um Stunde, die es gar nicht gibt! Ich hoffe nur, dass sie auch Mrs Bartholomew wach hält!«
Doch Alan Kitson wäre enttäuscht gewesen, wenn er Mrs Bartholomew gesehen hätte. Sie lag seelenruhig im Bett: Ihre falschen Zähne in einem Glas Wasser auf dem Nachttisch grinsten unfreundlich im Mondlicht, doch ihr eingezogener Mund verzog sich zu einem Lächeln, denn ihr Schlaf war sanft und voll süßer Träume. Es waren Träume, in denen sie in ihre Kindheit zurückkehrte.
Und die Standuhr schlug immer noch weiter, als ob sie alles Zeitmaß verloren hätte; und während sie schlug, schob Tom frohen Herzens den Riegel zurück, drehte den Türknopf, öffnete und ging hinaus in seinen Garten, der, wie er wusste, auf ihn wartete.
Die Fußspuren im Tau
E s gibt eine Zeit zwischen Tag und Nacht, in der Landschaften schlafen. Nur wer ganz früh aufsteht, erlebt diese Stunde oder aber der Nachtreisende, wenn er das Rollo des Zugfensters hochlässt und auf die vorbeiziehende Landschaft des Schweigens blickt. Noch stehen Bäume, Büsche und Pflanzen still und ohne zu atmen – sie sind in Schlaf gehüllt, wie auch der Reisende selbst am Abend zuvor seinen Körper in den Mantel oder eine Decke hüllte.
Diese graue, stille Stunde vor dem Morgen war die Zeit, in der Tom in den Garten ging. Um Mitternacht war er die Treppe hinunter und den Flur entlang bis zur Gartentür gegangen. Doch als er die Tür öffnete und in den Garten hinaustrat, war es viel später. Die ganze Nacht – mondbeschienen oder in Dunkelheit getaucht – war der Garten wach gewesen; nun, nach dieser langen Wache, war er eingeschlummert.
Das Grün des Gartens war mit grauem Tau benetzt; tatsächlich waren bis zum ersten Sonnenstrahl alle Farben verschwunden. Es war windstill und die Gestalten der Bäume hatten sich gegeneinander gelehnt. Ein Vogel sang. Dann bewegte sich etwas. Ein unförmiges Büschel aus Federn löste sich von einer hohen Tanne, schien eine Sekunde lang zu fallen und wurde dann sogleich
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