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Als die Uhr dreizehn schlug

Titel: Als die Uhr dreizehn schlug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Pearce
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aufgenommen und fortgetragen, ausgebreitet auf einem Wind, der nicht blies, hinüber zu einem anderen Baum: eine Eule. Sie machte den zerzausten und dösigen Eindruck von jemandem, der die ganze Nacht auf gewesen war.
    Tom machte sich auf Zehenspitzen auf den Weg durch den Garten. Zuerst nahm er die mit Steinen eingefassten Kieselwege ganz außen, um sich ein Bild davon zu machen, wie groß der Garten war. Doch bald brach er seinen Gang ungeduldig ab und schlug einen Querweg ein. Er führte in einen düsteren Gewölbegang, den auf der einen Seite die Eiben und auf der anderen Seite die Haselnusssträucher bildeten. Vor ihm lag ein graugrünes Licht, dort, wo der Weg offenbar wieder ins Freie mündete. Unter seinen Füßen war die Erde weich vom Humus der vermoderten Blätter des vorigen Jahres. Während Tom den Weg entlangglitt wie ein Geist, bemerkte er durch Lücken zwischen den dunklen Eibenstämmen zu seiner Rechten das Flackern einer helleren Farbe: dunkel – hell – dunkel – hell – dunkel… Das Helle, erkannte er, war die Rückwand des Hauses, die er immer wieder erblickte, und offenbar ging er hinter den jenseits des Rasens stehenden Eiben entlang.
    Sein Pfad führte – wie er später herausfand – bei den Spargelbeeten des Küchengartens wieder ins Freie. Auf der anderen Seite der langen, grabähnlichen Erdhügel lag ein dunkles Oval – ein Teich. An einem Ende, mit Aussicht über den Teich, stand ein achteckiges Sommerhaus, dessen Erdgeschoss von Arkaden eingefasst war. Eine steinerne Treppe führte hoch zur Tür. Wie alles andere im Garten war auch das Sommerhaus im Stehen eingeschlafen.
    Hinter dem Sommerhaus und dem Teich führte ebenfalls ein Weg entlang, der sich in lässigen Kurven dahinschlängelte. Jenseits davon lag ein Stück Wildnis, begrenzt von einer Hecke.
    Von den vier Seiten des Gartens, das hatte Tom schon festgestellt, waren drei von Mauern eingefasst; eine Seite durch die Rückwand des Hauses, eine andere durch eine sehr hohe Südmauer aus Klinkerblöcken und Backsteinen und die dritte schließlich durch eine niedrigere Mauer, die durchaus überwindbar schien. Eine Hecke jedoch lässt sich fast immer leichter überwinden als eine Mauer, und kaum hatte Tom seinen Garten betreten, war er schon neugierig geworden, was wohl jenseits dieser Hecke lag. Mit scharfem Blick suchte er sie nach einem Durchgang ab. Er brauchte nur ein kleines Loch, und er würde sich schon durchwühlen. Endlich fand er eine schmale Lücke; doch zu seiner Überraschung führte sie in die Hecke hinein und nicht geradewegs hindurch. Sie führte in einen ausgetretenen Tunnel – etwa eine Armlänge breit und einen Meter hoch. Tom kroch hinein.
    Der Tunnel führte auf der anderen Seite der Hecke durch eine breite Mündung ins Freie. Tom sah hinaus auf eine Wiese mit Kühen. Einige schliefen noch; eine stand auf, mit den Hinterbeinen zuerst; und eine hatte schon mit ihrer täglichen Arbeit, dem Grasen, angefangen. Diese Kuh hielt jetzt inne und starrte Tom an, als ob sie glaubte, immer noch zu träumen. Grasbüschel hingen zu beiden Seiten ihres Mauls herab, und ein langer Faden Speichel tropfte von ihrer Lippe herunter und schwang sanft in der leichten Morgenbrise, die jetzt aufkam.
    Auf der anderen Seite der Wiese erhob sich ein langer grauer Gänsehals aus dem Gras, und Tom sah, wie der Vogel den Kopf zur Seite bewegte, sodass ein Auge die Lücke in der Hecke und die Bewegung dort beobachten konnte. Tatsächlich war der Beobachter ein Gänserich, was Tom nicht wusste; einen Augenblick später reckten sich die weißen Hälse seiner Gattinnen um ihn her aus dem Gras, und auch sie schauten Tom an. Dann plusterte der Gänserich Hals und Brust auf und spreizte seine Flügel zu einem prächtigen, jede Feder spannenden Doppelbogen und begann nach Leibeskräften zu flattern. Anfangs folgte ihm eine Gans, dann alle anderen, und so begrüßten sie den Morgen.
    Tom, dem nun plötzlich klar wurde, wie schnell die Zeit vergangen war, kroch den Weg zurück, den er gekommen war – zurück in den Garten. Er machte sich allmählich mit ihm vertraut – mit seinen Wegen und Alleen und Gewölbegängen, seinen Büschen und Bäumen. Er merkte sich einige der markantesten Punkte. An einer Ecke des Rasens überragte eine Tanne alle anderen Bäume des Gartens; sie war mit Efeu umrankt, durch das ihre Zweige hervorstachen wie Kinderarme durch die Windungen eines Schals. An der hohen Südmauer, halb überwuchert von einer

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