Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Als die Uhr dreizehn schlug

Titel: Als die Uhr dreizehn schlug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Pearce
Vom Netzwerk:
an und wandte sich zu den Fußspuren im Gras um: Sie waren immer noch gut zu sehen, auch wenn die Wärme der aufgehenden Sonne ihre Ränder nun verschwimmen ließ. (Es fiel ihm nicht auf, dass seine eigenen Füße, die den Rasen immer wieder überquert hatten, merkwürdigerweise keine Spuren hinterlassen hatten.)
    Er ging ins Haus und verriegelte die Gartentür hinter sich. Jetzt hatte er sich in vollkommene Dunkelheit eingeschlossen; doch er konnte immer noch das Ticken der Standuhr hören, und das gab ihm die Richtung an. Er tastete nach einem der Regale, das ihm den Weg anzeigen sollte, doch unerklärlicherweise fand er keines. Er tastete sich vor bis zu der Stelle, an der das Barometer hängen sollte; er stieß nur auf die kahle Wand. Dann wurde ihm klar, dass um ihn her Leere herrschte; die Möbel waren verschwunden. Nur die Uhr war noch da, doch die Uhr war immer da, tagein, tagaus. Sie war im Flur gewesen zusammen mit den Möbeln und den Teppichen und den Bildern; und nun stand sie im kahlen Flur des Tages.
    Wenn der Flur wie üblich aussah, dann war alles wie üblich, und Tom war zurück in seiner eigenen Zeit und sein Bett würde gewiss oben auf ihn warten. Doch jetzt stieg eine leisere Angst in ihm hoch, zusammen mit Gewissensbissen. Das Ticken der Standuhr erinnerte ihn daran. Auf dem Zifferblatt der Uhr war keine dreizehnte Stunde eingeprägt gewesen; diese Ausrede für seinen nächtlichen Ausgang konnte er nicht anbringen. Und er hatte auch nicht damit Recht gehabt, dass dieser kleine Erkundungsgang nur wenige Minuten dauern würde. Er wagte nicht daran zu denken, wie viel Zeit er im Garten verbracht hatte. Vor der Dämmerung war er auf gebrochen; nun kehrte er zurück, und die Sonne war schon auf gegangen.
    Er ging die Treppe hoch in die Wohnung und sogleich in die Küche, um auf der Uhr dort nachzuschauen. Es war eine hässliche kleine Uhr, doch sie ging immer ganz genau.
    Er fand die Streichhölzer in der Küche und entzündete eines davon, wobei er mit den Händen sowohl das Geräusch als auch die Flamme abschirmte – er hatte es für klüger gehalten, nicht das Licht anzumachen, um ja nicht Onkel und Tante zu wecken. Er hielt das brennende Streichholz an die Uhr. Die Zeiger deuteten auf nur wenige Minuten nach Mitternacht.
    Erst ein paar Minuten nach Mitternacht!
    Tom starrte so lange auf die Uhr, bis das Streichholz abbrannte und er es fallen lassen musste. Er war verwirrt; doch eines wusste er jetzt, sein Versprechen für den Onkel hatte er nicht gebrochen. Auf Zehenspitzen ging Tom zurück ins Bett. Er tat gut daran, wenig Lärm zu machen, denn sein Onkel war noch immer am Ufer des Schlafes. Alan Kitson hatte gerade ein wenige Minuten zuvor begonnenes einseitiges Gespräch beendet. »Wenn diese Standuhr auf ähnliche Art eins schlägt, wie sie zwölf geschlagen hat – weiter und weiter und weiter –, dann geh ich nach oben und klopfe Mrs Bartholomew raus und beschwere mich. Sie soll bloß nicht glauben, dass ich Angst vor ihr habe.

Durch eine Tür
    T om huschte nun jede Nacht die Treppe hinunter und hinaus in den Garten. Anfangs fürchtete er oft, der Garten wäre verschwunden. Einmal, mit der Hand schon an der Tür, um sie zu öffnen, hatte er kehrtgemacht, denn schon bei der bloßen Vorstellung, der Garten wäre nicht mehr da, war ihm übel geworden vor Trauer. Er hatte sich dann nicht getraut nachzusehen; später in derselben Nacht hatte er sich jedoch gezwungen, noch einmal hinunterzugehen und die Tür zu öffnen: Der Garten war noch da. Er hatte ihn nicht im Stich gelassen.
    Er sah den Garten zu vielen unterschiedlichen Stunden und zu verschiedenen Jahreszeiten – am liebsten waren ihm die Sommertage mit herrlichem Wetter. Im Frühsommer gab es noch blühende Hyazinthen in den Halbmonden auf dem Rasen und Goldlack in den runden Beeten. Dann neigten sich die Hyazinthen zu Boden und verwelkten; der Goldlack wurde ausgerissen, an seiner Stelle blühten Levkojen und Astern. Neben dem Gewächshaus stand ein gestutzter Buchsbaum, in den von der einen Seite her ein Hohlraum wie ein großer Mund hineingeschnitten war. Dieser stand voller Töpfe mit blühenden Geranien. Entlang dem Sonnenuhrweg trieben schwere rote Mohnblumen aus und auch Rosen; und in der Dämmerung eines Sommertages glühten die Nachtkerzen wie kleine Monde. Im Spätsommer wurden die Birnen an den Wänden in Musselinsäcke gehüllt, damit sie geschützt reiften.
    Tom war freilich kein Gärtner. Was ihn am Garten vor allem

Weitere Kostenlose Bücher