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Als die Uhr dreizehn schlug

Titel: Als die Uhr dreizehn schlug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Pearce
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unternehmungslustigen Weinrebe, war eine Sonnenuhr angebracht; über ihr thronte eine steinerne Sonne mit steinernen Strahlen, deren Kinn in steinerne Strahlen Federwölkchen gebettet war – sieht aus wie Vaters Kinn voller Rasierschaum, dachte Tom. Auf einer Seite der Sonnenuhr, unter einem Bogen aus Geißblatt, war eine Tür. Tom hätte sie vielleicht ausprobiert, doch der Anblick der Sonnenuhr, auch wenn die Sonne sie noch nicht beschien, hatte ihn abermals daran erinnert, dass die Zeit verging. Er beeilte sich jetzt.
    Am Gewächshaus spähte er nur kurz durch das Glas auf die Pflanzen im Innern und auf den Wassertank, wo er etwas aufblitzen sah – vielleicht ein erwachender Goldfisch. Hastig ging er an den hochgestellten Gurkenkästen am Gewächshaus und am Vogelhaus vorbei, wo Fächerschwanz-Tauben auf dem backsteinernen Boden herumpickten.
    Im Zickzack lief er durch den Küchengarten hinter den Spargelbeeten, vorbei an Obstbäumen, Erdbeerbeeten, Bohnenstangen und einem Drahtverhau, unter dem Sträucher mit Himbeeren, Stachelbeeren und Johannisbeeren geschützt vor Vogelangriffen wuchsen. Neben dem Drahtverhau stand eine Reihe Rhabarber. Über jedes Büschel war die Hälfte eines alten Fasses gestülpt und mit Sackleinen abgedeckt. Zwischen den losen Dauben einer der Fasshälften steckte etwas Weißes – ein Stück Papier. Es war zusammengefaltet und von Kinderhand adressiert – wenn man dies eine Adresse nennen konnte: »An Oberon, König der Elfen.« Tom wollte bestimmt nichts mit Elfen und solchen Dingen zu tun haben, und ganz schnell entfernte er sich von dem Rhabarberbeet.
    Der Weg führte ihn wieder auf den Rasen. Hier waren die Blumenbeete – die halbmondförmigen Eckbeete mit den Hyazinthen, zwischen denen schon eine erste Biene arbeitete. Die Hyazinthen erinnerten Tom an Tante Gwen, doch nun dachte er nicht mehr mit Widerwillen an sie. Sie wusste nichts – die Arme! – und eigentlich konnte er ihr keinen Vorwurf machen.
    Am Rand des Rasens hielt Tom jäh inne. Im Graugrün des taubenetzten Grases bemerkte er zwei klar umrissene Stellen dunkleren Grüns: Fußabdrücke. Füße waren über den Rasen gegangen und hatten hier gestanden; dann hatten sie kehrtgemacht und waren fortgegangen. Wie lange war das her? Gewiss nicht, bevor Tom den Garten betreten hatte. »Ich bin sicher, sie waren nicht da, als ich rauskam. Ganz sicher.«
    Wer immer es war, wie lange hatte er hier gestanden und warum? Er oder sie hatte die Reihe der Eiben gegenüber betrachtet; und dieser Gedanke ließ Tom unwohl werden. Er war hinter diesen Bäumen vorbeigegangen und hatte das Blink-Blink-Blink des Hauses gesehen. Hatte gleichzeitig jemand auf dem Rasen gestanden und das Blink-Blink-Blink von Tom beobachtet? Tom musterte das Haus; er ließ die Augen von Fenster zu Fenster wandern. Hatte sich jemand an einem der oberen Fenster vor seinem Blick zurückgezogen? Nein, nein. Jetzt bildete er sich die Dinge auch noch ein.
    Toms Nerven waren zum Zerreißen gespannt und er zuckte zusammen, als er hinten im Garten ein Geräusch hörte. Es war das Geräusch einer auf gehenden Tür. Sofort ging er in Deckung und schlich sich dann in die Richtung des Geräuschs. Jemand war durch die Tür am Sonnenuhrweg gekommen – ein Mann mit einer Schubkarre.
    Tom brauchte einen Moment um zu erkennen, dass dies ein Gärtner war und dass er nichts Finsteres vorhatte, sondern mit der täglichen Arbeit beginnen wollte. Der Gärtner pfiff; und nun wurde sich Tom bewusst, dass der Garten sich schon eine Zeit lang mit Geräuschen gefüllt hatte – dem Singen von Vögeln, dem Rascheln von Blättern im Morgenwind und all den kleinen Geräuschen der lebendigen Bäume und Büsche und Pflanzen und Insekten. Die Sonnenstrahlen tauchten jetzt den ganzen Garten ins Licht, sogen den Feuchte spendenden Tau auf und erwärmten alles, sodass ein neuer Tag beginnen konnte. Der eiserne Stab der Sonnenuhr warf endlich einen Schatten und verkündete die Zeit. Der Tag begann, und Tom hatte Angst, in einer Tageszeit gefangen zu werden, die nicht die seine war. Wieder überquerte er den Rasen, diesmal mit der festen Absicht, ins Haus zurückzukehren und ins Bett zu gehen – wenn sein Zimmer und sein Bett überhaupt noch da waren. Er sah, dass der Hausflur mit all den Dingen ausgestattet war, die er letzte Nacht gesehen hatte. Die Morgensonne tauchte sie in klares Licht. Sie sahen verblüffend echt aus.
    Die Angst machte ihm nun Beine; dennoch hielt er auf der Türschwelle

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