Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Als die Uhr dreizehn schlug

Titel: Als die Uhr dreizehn schlug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Pearce
Vom Netzwerk:
in einem der letzten Jahre des alten Jahrhunderts. Es war sehr heiß, schwül und gewittrig, und ich konnte nicht schlafen. Ich dachte an meine Hochzeit am nächsten Tag und zum ersten Mal an all die Dinge, die ich zurücklassen würde: meine Kindheit und all die Tage, die ich im Garten verbracht hatte – im Garten mit dir, Tom.
    Ein Gewitter zog auf und es blitzte. Ich stieg aus dem Bett und sah aus dem Fenster. Ich konnte die Wiese und die Ulme und selbst das Flussufer sehen – alles beim Licht der Blitze.
    Dann dachte ich, ich könnte bei diesen Blitzen auch in den Garten sehen; ich hatte große Sehnsucht danach. Ich ging in ein leeres, nicht benutztes Schlafzimmer nach hinten raus, zum Garten.«
    »Ich glaube, ich weiß, welches Sie meinen«, sagte Tom. »Einmal hab ich dort den Kopf durch die Tür gesteckt.«
    »Nun, ich stand am Fenster und sah über den Garten. Das Gewitter war jetzt über dem Haus; die Blitze tauchten alles in klares Licht. Ich konnte die Eiben und die Tanne und das Gewächshaus sehen, als wenn es Tag gewesen wäre. Und dann sah ich dich.«
    »Mich?«, rief Tom. »Aber das verstehe ich nicht. Wann war das? Ich hab Sie nicht gesehen.«
    »Du hast gar nicht nach oben geschaut. Ich glaube, du bist einfach im Garten umhergegangen, denn du bist auf einem dieser Wege an der Mauer aufgetaucht und über den Rasen zur Treppe gegangen. Du warst so durchsichtig wie Mondschein. Du warst im Schlafanzug – das waren doch Pyjamas, oder, Tom? In jener Zeit trugen die meisten Jungen Nachthemden, und Pyjamas kannte ich nicht. Deine Jacke war aufgeknöpft und flatterte im Wind, das weiß ich noch genau.
    Du gingst die Stufen zur Gartentür hoch und dann, glaube ich, bist du ins Haus gegangen, denn danach habe ich dich nicht mehr gesehen. Ich blieb am Fenster stehen und sagte mir: ›Er ist fort; aber der Garten ist noch da. Der Garten wird immer da sein. Er wird sich nie verändern.‹
    Erinnerst du dich noch an die hohe Tanne, Tom – die bis an die Krone von Efeu umrankt war? Ich hab mich dort oft untergestellt als Kind, wenn es einen Sturm gab, und gefühlt, wie sich die Erde unter meinen Füßen aufbäumte, als ob die Wurzeln wie Muskeln an ihr zerrten. In dieser Mittsommernacht, als das Gewitter am schlimmsten war, hat ein starker Wind die Tanne gepackt und – o Tom, es war schrecklich mit anzusehen! – der Blitz hat in sie eingeschlagen und sie ist umgestürzt.«
    Tiefe Stille trat ein und Tom erinnerte sich an die Stille nach dem Fall des Baumes und an den Schrei oben am Fenster, der sie zerrissen hatte.
    »Und dann wusste ich, Tom, dass der Garten sich ständig verändert, denn nichts steht still, außer in unserer Erinnerung.«
    »Und was ist dann passiert?«, fragte Tom.
    »Oh, am nächsten Tag hat sich Abel wegen der Tanne beschwert, weil sie eines der Spargelbeete ruiniert hat. Doch ich vergaß die Tanne und den Garten und auch dich, Tom, denn es war mein Hochzeitstag. Barty und ich heirateten und lebten dann auf einem der Höfe seines Vaters in den Fens. Und wir waren sehr glücklich.«
    »Und dann?«
    »Es ging uns gut – viel besser als den Vettern hier. Zunächst arbeiteten sie alle drei im Familienunternehmen. Dann gingen Hubert und Edgar fort und James machte allein weiter. Er heiratete und hat Kinder großgezogen, doch seine Frau starb, und mit dem Unternehmen ging es bergab, und schließlich beschloss er auszuwandern. Bevor er ging, hat er alles verkauft – das Haus, die Möbel und das restliche Land.
    Barty und ich kamen herüber zur Versteigerung. Schon damals sah das Haus ganz anders aus. James war knapp bei Kasse gewesen, und deshalb hatte er zuerst die beiden Wiesen und dann den Obstgarten und schließlich sogar den Garten verkauft. Der Garten war ganz verschwunden und dort, wo die Mauer gewesen war, bauten sie jetzt Häuser, und deren Hintergärten waren da, wo die Eiben und der Rasen gewesen waren. Sie haben alle Bäume gefällt, außer Tricksy. Du kannst Tricksy noch heute in einem der Gärten sehen.«
    »Das ist also Tricksy«, sagte Tom.
    »Bei der Versteigerung hat Barty ein paar von den Möbeln gekauft, die mir gefallen haben – das Barometer hast du ja gesehen –, und die Standuhr, deren Klang ich immer gemocht hatte. Als ich noch ein kleines Mädchen war, Tom, habe ich oft absichtlich falsch verstanden, welche Stunde sie geschlagen hat, und dann bin ich aufgestanden und noch vor den Hausmädchen nach unten gegangen – noch vor Sonnenaufgang sogar – um im Garten zu

Weitere Kostenlose Bücher