Als die Welt zum Stillstand kam
Lärm zu übertönen, den die Baustelle des neuen Algentanks in der Hanson Road verursachte. Aber Eliza hatte sie entweder nicht gehört, oder sie wollte nicht antworten.
In den Straßen wimmelte es von Menschen. Aber anders als noch vor wenigen Tagen wirkten sie nun nicht mehr ängstlich und bedrückt – sie schienen ein Ziel zu haben.
Das lag natürlich vor allem daran, dass in der Stadt neben den ursprünglichen Bewohnern nur noch Flüchtlinge geduldet wurden, die entweder Bauarbeiten an den neuen Algentanks und Energiezentren durchführten oder für die Stadt wertvolle Qualifikationen mitbrachten. Welche das waren, konnte man draußen an den Screens der Stadttore jeden Tag nachlesen: Ärzte, Experten für Energiespeicherung, Energieingenieure, Agrarwissenschaftler, Architekten und Krankenschwestern waren zurzeit besonders gefragt.
Wer durch dieses Raster fiel, arbeitete entweder draußen am Aufbau der Neustadt mit oder wurde für einen der Erntetrupps eingeteilt. Die Wanderarbeiter zogen durch das gesamte Gebiet von hier bis Dublin, um die Ernte einzubringen. Denn die meisten landwirtschaftlichen Betriebe waren inzwischen verwaist: Kaum ein Bauer hatte beim Zusammenbruch genügend Solarzellen oder gar eine Notstromversorgung gehabt, um danach seine Traktoren noch einsetzen zu können. Von den Roachys ganz zu schweigen, die ohne Wartung schnell ihren Geist aufgaben.
Aber es gab noch eine andere Möglichkeit, in der Stadt zu arbeiten. Eine, bei der man besondere Vergünstigungen bekam und jeden Tag etwas mehr Macht. Eine, die darum bei den Flüchtlingen begehrter war als jeder andere Job: die Security. Die in einem Crashkurs ausgebildeten neuen Polizisten waren überall und kontrollierten jeden, der die Stadt verließ oder betreten wollte. Sobald es das geringste Anzeichen von Ärger oder Streit gab, waren sofort mehrere von ihnen da, um einzugreifen.
Am Tag zuvor hatte Olle Celie erzählt, dass es in letzter Zeit mehrere Übergriffe und unberechtigte Festnahmen durch Polizisten gegeben hatte. Dass die Nachrichten nichts davon brachten, war für ihn nur ein Beweis mehr dafür, dass die Kommune sich allmählich zu einem Polizeistaat entwickelte.
»Wenn die Medien erst kontrolliert werden, sind wir alle am Arsch«, hatte er düster gesagt und seine blonden Dreadlocks geschüttelt. »Nicht nur die Flüchtlinge da draußen.«
Celie und er waren allein in der Stadthalle, wo Olle die Screen-Show für das Konzert programmierte. Celie hatte es inzwischen aufgegeben, ihm aus dem Weg zu gehen. Sie musste zugeben, sie mochte ihn, und abgesehen davon ließ er sich einfach nicht abschütteln. Sobald er von dem Konzert gehört hatte, hatte er auch schon seine Hilfe bei der Programmierung der Lightshow angeboten.
»So weit ist es noch nicht«, sagte Celie. Seit sie das Konzert vorbereitete, sah sie alles anders, leichter. Wahrscheinlich war das unvernünftig, aber sie konnte nichts dagegen tun. Zumindest tagsüber. Die Abende waren eine andere Geschichte.
Olle runzelte die Stirn. »Aber bald, wenn wir nichts unternehmen. Und dieser Bürgermeister wird mir auch immer unheimlicher. Der Rat wird mit jeder neuen Zwangsmaßnahme, die er beschließt, unbeliebter. Und Conor und sein Sonderkommando sind schon fast so gefürchtet wie die Gestapo früher bei den Nazis. Aber Jasons Image leidet unter alldem überhaupt nicht. Im Gegenteil: Ständig sieht man ihn irgendwo mit hochgekrempelten Ärmeln rumstehen, wo er sich die Sorgen der Menschen anhört und selbst anpackt. Für die unangenehmen Aufgaben hat er ja Conor.«
»Ein teragruseliger Typ …«, murmelte Celie in Gedanken an ihr Treffen bei Jason.
»Jason finde ich viel gruseliger. Der steckt doch hinter allem, was Conor tut. Würde mich nicht wundern, wenn die Gerüchte stimmen, dass es schon geheime Folterkeller gibt.« Olle schüttelte sich. »Aber Jason steht da wie ein strahlender Retter in der Not. Sogar die da draußen lieben ihn.«
»Die da draußen?«, sagte Celie.
»Sorry«, sagte Olle. »Wir sind natürlich alle eins, gehören zusammen und so weiter.« Er drückte eine Taste und die Wände der Halle verwandelten sich in einen belebten Dschungel mit Vogelschreien und fallenden Regentropfen.
»Das meine ich ernst«, betonte er.
»Weiß ich doch«, sagte Celie.
»Nur falls du dich bei Jason mal über mich beschweren willst«, fügte Olle hinzu.
»Wie bitte?«
Er zuckte die Achseln. »Nicht böse gemeint. Ich hab nur gehört, dass du neulich abends bei ihm
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