Als es noch Menschen gab - Roman - Meisterwerke der Science Fiction
Jenkins hatte sich über sie geärgert, zuweilen hasste er sie sogar, da es ihre Schuld war, dass die Hunde nicht mehr hier waren. Doch jetzt wusste er, dass jedes Leben wichtig war.
Die Mäuse gab es noch, aber die durften nicht gestört werden. Sie waren die letzten Säugetiere auf der Erde, und niemand sollte sich in ihr Leben einmischen dürfen. Sie wollten es nicht, sie hatten es nicht nötig – sie würden schon klarkommen. Mit der Zeit würden sie sich ihr eigenes Schicksal schaffen, und wenn dieses Schicksal nichts für sie bereithielt, als weiter als Mäuse zu leben, dann war das auch in Ordnung.
»Wir sind gerade vorbeigekommen«, sagte Andrew. »Und vielleicht werden wir nicht noch einmal vorbeikommen.«
Mittlerweile waren zwei weitere Roboter aus dem Schiff ausgestiegen und wanderten langsam über die Wiese. An dem Ameisengebäude brach ein weiteres Mauerstück ein und riss noch ein wenig Dach herunter. Auf die Terrasse drang das Krachen nur gedämpft, als läge es in viel weiterer Ferne.
Also gab es nur noch das Webster-Haus – das selbst nur mehr ein Symbol war, ein Symbol für das Leben, das es einmal beherbergt hatte. Im Grunde war es nichts als Stein und Holz und Metall. Seine einzige Bedeutung hatte es in Jenkins' Geist, als innerliche Vorstellung, die er sich geschaffen hatte.
Schließlich fühlte er sich so sehr in die Ecke gedrängt, dass er auch noch die letzte bittere Tatsache zugeben musste: Er wurde hier nicht mehr gebraucht. Er blieb nur noch um seinetwillen.
»Wir haben Platz für dich«, sagte Andrew. »Und wir brauchen dich.«
Solange die Ameisen gelebt hatten, wäre seine Antwort klar gewesen. Aber jetzt waren die Ameisen fort – und außerdem, was für einen Unterschied machte das eigentlich? Jenkins hatte sie ja nicht mal gemocht.
Mit gesenktem Blick wandte er sich ab und stolperte durch die Tür in das Haus. Die Wände riefen ihm zu, Stimmen riefen nach ihm aus den Schatten der Vergangenheit. Jenkins stand da und lauschte, als ihm plötzlich etwas Seltsames auffiel: Er hörte die Stimmen, doch keine Worte. Früher hatte er Worte gehört, doch jetzt waren keine mehr auszumachen – und würden mit der Zeit etwa auch die Stimmen verschwinden? Wie wäre es, fragte er sich, wenn das Haus immer ruhiger und einsamer werden würde, bis alle Stimmen verstummt, alle Erinnerungen verblasst wären? Schon jetzt waren sie fast vergangen, das war ihm nur allzu deutlich bewusst; sie waren nicht mehr klar und deutlich, die Jahre hatten ihnen zugesetzt.
Früher einmal war dies ein Ort der Freude gewesen, aber jetzt gab es hier nichts als Trauer – nicht nur die Traurigkeit, die ein verwaistes Haus verströmt, nein, auch die Traurigkeit, die von allem Übrigen herrührte, von dem ganzen Planeten Erde, den gescheiterten Plänen und sinnlos gewordenen Siegen.
Nach und nach würde das Holz verrotten und das Metall abblättern, nach und nach würde der Stein zu Staub zerfallen. Bis es irgendwann kein Haus mehr gab, sondern nur noch einen lehmigen Erdhügel, der darauf hindeutete, dass früher einmal ein Haus dort gestanden hatte.
Das kommt davon, wenn man zu lange lebt, dachte Jenkins – wenn man zu lange lebt und nicht vergessen kann. Das würde seine schwerste Prüfung sein: niemals vergessen zu können.
Er wandte sich ab und trat durch die Tür, hinaus auf die Terrasse. Andrew wartete auf ihn, unten an der Leiter, die in das Raumschiff führte.
Jenkins versuchte, sich zu verabschieden, aber er konnte es nicht. Wenn ich doch nur weinen könnte, dachte er. Doch Roboter können nicht weinen.
Nachwort
»Als es noch Menschen gab« entstand unter dem Eindruck von Ernüchterung und Resignation. Vielleicht war ich einer der wenigen, die damals unter diesen Empfindungen litten – wenn ja, ist das kaum zu verstehen. Der Krieg, der die ganze Welt über zogen hatte, hatte Millionen das Leben gekostet und das von Millionen anderen zerstört. Und er hatte eine Waffe hervorgebracht, deren Zerstörungskraft sich nicht auf die Vernichtung einzelner Armeen beschränkte, sondern ganze Nationen bedrohte.
Drei Jahrzehnte später wird kaum noch ernsthaft über das zerstörerische Potenzial von Atomwaffen nachgedacht. Wir haben so lange damit gelebt, dass ihre Gefahr zu einem von vielen Bestandteilen geworden ist, die zur Normalität unseres täglichen Lebens gehören. Ja, wir haben uns daran gewöhnt – und wenn wir doch einmal darüber nachdenken, sehen wir Atomwaffen unter dem Aspekt internationaler
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