Als gaebe es kein Gestern
Blick auf die Zettel, die vor ihr lagen. „Henning hat angerufen“, sagte sie.
Einen Moment lang herrschte Stille. „Ja … und?“, fragte Livia.
„Ein weiterer Grund, weshalb es müßig ist, noch länger über dieses Beet zu diskutieren.“
Livia schüttelte irritiert den Kopf. „Ich verstehe nicht …“
„Bei Henning gibt es sicher auch noch ein paar freie Beete. Er ist nämlich der Meinung, dass die Hochzeit von langer Hand vorbereitet werden muss, und lässt fragen, ob dir der …“ – Inge griff nach ihrer Brille, setzte sie auf und warf einen weiteren Blick auf den Zettel, der vor ihr lag – „der 19. Juni recht wäre.“
Livias Augen weiteten sich. „D-das fragt er euch?“, stammelte sie.
Dieter zuckte die Achseln. „Warum denn nicht? Ihr seid euch doch einig, oder nicht? Früher wart ihr es jedenfalls.“
„Früher vielleicht“, brach es aus Livia hervor, „aber jetzt …“ Sie zögerte, sah ein wenig ängstlich von ihrem Vater zu ihrer Mutter und wieder zurück zu ihrem Vater. „Also, um … um ehrlich zu sein“, stammelte sie, „will ich gar nicht mehr …“
Inge schnappte erschrocken nach Luft. „Wie bitte?“
„Na ja … ich … ich kenn ihn doch gar nicht mehr. Und außerdem … hab ich das Gefühl, dass er sich überhaupt nicht für mich interessiert.“
„Aber natürlich interessiert er sich für dich. Er hat schließlich einen Hochzeitstermin vorgeschlagen“, protestierte ihr Vater.
„Er interessiert sich vielleicht für diesen Hof“, entfuhr es Livia, „aber der Hof und ich … das ist nicht dasselbe!“
„Er ist halt zielstrebig. Was ist daran falsch?“, fragte Inge und setzte ihre Brille wieder ab. Dann hielt sie sie mit ausgeklappten Bügeln in ihrer linken Hand und untermalte damit ihre weiteren Worte. „Er ist so ziemlich der einzige junge Mann im Umkreis von hundert Kilometern, dem ich diesen Hof vererben würde. Also, soweit es mich betrifft, kann ich mir keinen besseren Schwiegersohn wünschen.“
„Du könntest dir einen Schwiegersohn wünschen, dem das Glück deiner Tochter am Herzen liegt“, hörte sich Livia sagen.
Einen Moment lang wurde es mucksmäuschenstill in der Diele. Dann sagte Inge mit zitternder Stimme: „Was … was soll denn das heißen? Soll das heißen, dass mir dein Glück nicht wichtig ist?“
„Man könnte gelegentlich auf die Idee kommen …“, krächzte Livia mit letzter Kraft.
„Ach tatsächlich? Dann will ich dir mal was sagen, mein Kind!“ Inge hatte noch immer ihre Brille in der linken Hand und stieß sie jetzt mit jedem Wort, das sie sprach, wie einen Dolch in Livias Richtung. „ Dein Glück liegt mir sehr wohl am Herzen. Ich mache mir nämlich ernsthaft Sorgen, dass dich außer Henning niemand mehr nimmt. Oder glaubst du, dass irgendjemand ein Mädchen wie dich haben will? So ein kleines Blumenkind, das noch nicht mal mehr vernünftig Kartoffeln schälen kann?“
Die Farbe wich so schnell aus Livias Gesicht, als hätte Inge sie mit ihren Worten hinausgeprügelt. Lange Sekunden stand sie einfach nur so da und war unfähig zu sprechen oder sich auch nur zu bewegen. Diese Worte … sie wären nicht so schlimm gewesen, wenn Livia nicht ein untrügliches Gespür für die Wahrheit besessen hätte … wenn sie in diesem Moment nicht ganz genau gewusst hätte, dass ihre Mutter genau das gesagt hatte, was sie wirklich dachte … was sie von Anfang an gedacht hatte …
„Angelika“, begann ihr Vater schließlich, verstummte aber, als Livia einfach nur die linke Hand hob. Ohne die Hand wieder herunterzunehmen, drehte sie sich ganz langsam um und verließ den Raum.
Kapitel 49
Sie lag jetzt schon seit einer halben Stunde unter ihrem Bett und weinte bitterlich. Dabei hatte sie doch so gehofft, dass die Zeit der Tränen endlich vorbei war! Und sie hatte sich so fest vorgenommen, nie mehr unter irgendein Bett zu flüchten!
Aber wohin sollte sie sich sonst flüchten?
Es gab ja keinen Ort, an dem sie Trost finden konnte. Keinen Ort, an dem sie zu Hause war. Niemanden, der sich wirklich für sie interessierte.
Im Grunde war alles noch schlimmer als in ihren schlimmsten Albträumen! Niemand auf dieser Welt fragte nach … Livia … Angelika … Wer war sie überhaupt … wie hieß sie überhaupt?
Sie wurde von einem neuen Schub Schluchzern geschüttelt und krallte sich an einem der Bretter fest, die direkt über ihr waren und zum Lattenrost gehörten. Direkt darüber fühlte sie die Matratze, auf der sie nachts
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