Als gaebe es kein Gestern
hielt er ihre Hand ein wenig länger fest. „Hallo, du musst wohl Angelika sein. Ehrlich gesagt, erkenne ich dich nicht wirklich wieder … Geht es dir gut?“
Livia war erstaunt, dass der Pastor wusste, wer sie war. Sie selbst konnte sich kein bisschen an ihn erinnern. Verunsichert zuckte sie die Achseln. Lügen wollte sie nun auch wieder nicht … Schon gar nicht beim Pfarrer!
„Und deine vielen Fragen … Sind ein paar davon beantwortet worden?“
Livia hob verständnislos die Brauen. Fragen?
„Du hattest immer die meisten Fragen von allen. Das war schon beim Konfirmationsunterricht so.“ Der Pfarrer lächelte warm. „Um ehrlich zu sein … hab ich immer dafür gebetet, dass sie beantwortet werden. Wurden sie?“
Bevor Livia irgendetwas antworten konnte, wurde sie von der Menge weiter nach vorn geschoben.
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Als sie nach Hause zurückgekehrt waren, erhielt Livia den Auftrag, Kartoffeln zu schälen. Unglücklicherweise gab es in diesem Haushalt keinen Sparschäler, und ohne Sparschäler … Sie versuchte, mit diesem Problem Gehör zu finden, fand sich aber schon wenig später mit einem normalen kleinen Küchenmesser und einem Haufen von Kartoffeln am Küchentisch wieder. Dieter und Inge kümmerten sich derweil um irgendein Problem im Schweinestall.
Missmutig griff Livia nach einer besonders großen Kartoffel und versuchte, sie zu entkleiden. Aber sie war es nicht gewohnt, ohne Sparschäler zu arbeiten. Umso stärker machte sich ihre rechte Hand bemerkbar …
Und die Kartoffel verkleinerte sich zusehends.
„Euer Verbrauch an Reis muss enorm gewesen sein“, sagte eine Stimme, die ein wenig amüsiert klang.
Livia blickte verärgert zur Tür und sah Jan darin stehen. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt und lehnte lässig im Türrahmen.
„Bis Mittag schlafen und dann auch noch blöde Sprüche klopfen“, fauchte sie. „Komm lieber her und hilf mir!“
Erstaunlicherweise setzte sich Jan tatsächlich in Bewegung, nahm neben Livia am Küchentisch Platz und griff nach einer Kartoffel. Dann nahm er Livia das Messer aus der Hand und begann mit der Arbeit.
„Du kannst das gut!“, sagte Livia und staunte, wie schnell das Messer über die Kartoffel glitt.
„Jahrelange Übung“, seufzte Jan, warf die erste Kartoffel in die Schüssel mit dem Wasser und holte sich die nächste.
„Heißt das, dass du früher mehr geholfen hast?“, erkundigte sich Livia.
„Mehr geholfen hab ich schon“, lächelte Jan, „aber nicht beim Kartoffelschälen. Das ist in dieser Familie Frauensache. Nö, ich war meist bei Vadder und bin ihm zur Hand gegangen.“ Er benutzte jetzt die Spitze des Messers und pulte damit ein besonders tiefes Auge aus der Kartoffel. Dann warf er auch diese Kartoffel ins Wasser und holte sich eine neue. „Nein, das mit den Kartoffeln hab ich im Studium gelernt.“ Er musste plötzlich grinsen. „Nicht, dass du jetzt denkst, es wäre ein Studienfach gewesen, aber … na ja, ich bin halt Selbstversorger und … falls du’s mit all den anderen Sachen vergessen hast … ein absoluter Kartoffelfan.“
„Wir haben oft Pellkartoffeln gegessen“, beantwortete Livia Jans Frage von vorhin. „Die hat Arvin dann beim Essen gepellt.“ Sie musste schlucken. Irrte sie sich oder hatte sie Arvins Namen zum ersten Mal seit Tagen wieder laut ausgesprochen?
„Arvin?“, fragte Jan.
Livia nickte und versuchte, die Tränen zurückzuhalten. Schon der Gedanke an ihn löste so viel aus!
„Mudder hat gesagt, du seist quasi … verheiratet gewesen …“
„Nicht so, wie du denkst“, seufzte Livia und dachte wehmütig an das eine Mal, bei dem sie auf Arvins Schoß gesessen hatte. Das war einer Ehe doch schon recht nah gekommen, oder?
„Hat er dich eigentlich gebeten zu bleiben?“, wollte Jan wissen.
Livia schluckte schwer und musste erneut die Tränen bekämpfen. Sie schüttelte mühsam den Kopf.
„Und … und wenn er es getan hätte …“, begann Jan mit seinem anscheinend untrüglichen Gespür für die Zusammenhänge, „wärst du dann geblieben?“
Livia schauderte und war sich nicht sicher, ob sie angesichts dieser Frage wütend oder positiv überrascht sein sollte. Stand es Jan überhaupt zu, derart intime Fragen zu stellen? Aber es stellte sie ja sonst niemand! „Er … hat aber nicht“, flüsterte Livia und starrte wie hypnotisiert die Wand an.
„So ist das also“, sagte Jan, und es klang, als wären keine Fragen mehr offen.
Eine Weile hingen beide ihren Gedanken nach. Ein
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