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Als Gott ein Kaninchen war

Als Gott ein Kaninchen war

Titel: Als Gott ein Kaninchen war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Winman
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errötete über das plötzliche, sich immer weiter gen Norden ausbreitende Schwächegefühl in ihren Beinen. Und das war exakt der Moment, in dem sie beschloss, dass, wenn sie sie schon nicht haben könnte, ihr Bruder diese Frau bekommen sollte.
    » Alfie!«, rief sie. » Komm her und lern jemand wirklich Nettes kennen!«
    Und so war es Nancy, die in seinen letzten Semesterferien an der Uni das Flirten für meinen Vater übernahm. Es war Nancy, die meiner Mutter die Blumen überbrachte, und Nancy machte auch die Anrufe und kümmerte sich um die Reservierungen für heimliche Abendessen. Und schlussendlich war es auch Nancy, die die Gedichte schrieb, von denen mein Vater nichts wusste. Die Gedichte, die der Grund dafür waren, dass sich meine Mutter in meinen Vater verliebte, weil sie die Tiefe seiner oft zögerlichen Gefühle » enthüllten«. Als das neue Semester begann, waren mein Vater und meine Mutter bereits bis über beide Ohren ineinander verliebt, und Nancy war eine verwirrte Fünfzehnjährige, die auf der holprigen Oberfläche ihres verletzten Herzens davonhumpelte.
    » Liebt sie sie noch immer?«, fragte ich.
    Mein Bruder seufzte. » Wer weiß?«

» Guten Morgen«, sagte Nancy, als sie an einem trüben Novembermorgen die Augen öffnete.
    » Hallo«, sagte ich.
    » Was gibt’s?«, fragte sie, wälzte sich zu mir herum und sah mich an.
    » Heute ist das Vorsprechen«, sagte ich leise und zog mir die rot-blaue Schulkrawatte über den Kopf.
    » Was für ein Vorsprechen?«, fragte sie und setzte sich ruckartig auf.
    » Für das Krippenspiel«, sagte ich.
    » Ich wusste ja gar nicht, dass du dich für so etwas interessierst.«
    » Tu ich auch gar nicht, aber Jenny Penny hat mich überredet.«
    » Für welche Rolle sprichst du vor?«, wollte Nancy wissen.
    » Maria, Josef, das Übliche«, sagte ich. » Die Hauptrollen .« (Abgesehen vom kleinen Jesus natürlich, denn der war schließlich keine Sprechrolle. Und außerdem war ich nicht sicher, ob mir inzwischen vergeben war, dass ich gesagt hatte, er sei ein Unfall gewesen.)
    » Was musst du bei dem Vorsprechen machen?«
    » Nur so dastehen«, erwiderte ich.
    » Sonst nichts?«
    » Nö«, sagte ich.
    » Bist du sicher?«
    » Ja, das hat mir Jenny Penny so gesagt«, erklärte ich. » Sie meint, die können Starqualitäten allein dadurch erkennen. Sie meint, ich hätte es in meinem Gähnen.«
    » Na gut. Also dann viel Glück, Engel«, sagte Nancy, beugte sich hinüber zu ihrem Nachtkästchen und machte die Schublade auf.
    » Nimm die hier mit«, sagte sie. » Sie bringt Glück und sie verströmt Starqualität. Bei mir hat es immer funktioniert.«
    Das Wort »verströmen« hatte ich sie noch nie sagen hören. Ich würde es später auch gleich mal benutzen.
    Ich ging zügig bis zum Ende der Straße, wo sich eine hohe Ligusterhecke breitgemacht hatte. Dort traf ich mich auf dem Weg zur Schule immer mit Jenny Penny. Wir trafen uns nie bei ihr zu Hause, denn bei ihr zu Hause war es schwierig. Das hatte etwas mit dem neuen Freund ihrer Mutter zu tun. Sie verstehe sich ganz okay mit ihm, sagte sie, wenn ihre Mutter da sei. Aber ihre Mutter war nicht immer da. In letzter Zeit ging sie oft auf Beerdigungen, das war ihr neustes Hobby. Ich vermutete, dass ihre Mutter einfach gern weinte.
    » Lachen? Weinen? Im Endeffekt ist es doch alles das Gleiche, oder?«, sagte Jenny Penny.
    Ich fand das nicht, sagte aber nichts. Sogar damals wusste ich bereits, dass sie in einer ganz anderen Welt lebte als ich.
    Ich schaute die Straße hinunter und sah Jenny Penny auf mich zurennen und dass ihr eine glänzende, nasse Schliere an der vollen Oberlippe hing.
    » Tut mir leid, dass ich zu spät bin«, sagte sie.
    Sie kam immer zu spät, weil ihr Haar einfach nicht zu bändigen war.
    » Kein Problem.«
    » Hübsche Brille. Hast du die von Nancy?«
    » Ja«, sagte ich stolz. » Sie trägt sie immer bei Premieren.«
    » Das habe ich mir gedacht«, erwiderte Penny.
    » Ist sie nicht zu groß?«, erkundigte ich mich.
    » Nein, ist sie nicht. Aber ziemlich dunkel. Kannst du überhaupt richtig sehen?«
    » Natürlich kann ich das«, log ich, denn ich war gerade zwar knapp einem Laternenpfahl entkommen, aber leider nicht dem Hundehaufen, der direkt danebengelegen hatte. Jetzt klebte er mir an der Schuhsohle wie Schmierfett, und sein beißender Geruch hing mir in der Nase.
    » Was ist denn das für ein Geruch?«, fragte Jenny und sah sich suchend um.
    » Der aufziehende Winter«, sagte ich mit einem

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