Als Gott ein Kaninchen war
tiefen Seufzen. Ich nahm sie am Arm, und wir marschierten auf das schwarze Eisentor zu, das Sicherheit verhieß.
Rückblickend hätte ich die Brille zum Vorsprechen doch lieber abnehmen sollen, denn ich stolperte durch die Schulaula wie eine tatterige Wahrsagerin.
» Ist alles in Ordnung mir dir?«, erkundigte sich der Aufsichtsschüler, der mich am Arm festhielt.
» Ja, alles klar«, wiegelte ich ab und stolperte über seinen Fuß. Die breite Flügeltür öffnete sich, und Jenny Penny kam herausgerannt.
» Wie ist es gelaufen?«, fragte ich gespannt.
» Super«, sagte sie und reckte den Daumen hoch.
» Welche Rolle haben sie dir gegeben?«, flüsterte ich.
» Den Tintenfisch. Keine Sprechrolle«, sagte sie. » Genau was ich wollte.«
» Ich wusste gar nicht, dass es in dem Stück einen Tintenfisch gibt«, sagte ich überrascht.
» Gibt es auch nicht«, erwiderte sie. » Sie wollten eigentlich, dass ich ein Kamel spiele. Aber unter all den Tieren, die da in Zweiergruppen aufmarschieren, müssen ja wohl auch Tintenfische gewesen sein.«
» Das ist aber die Arche Noah«, gab ich zu bedenken.
» Ist doch dasselbe. Auch die Bibel eben«, meinte sie. » Die merken den Unterschied doch gar nicht.«
» Wahrscheinlich nicht«, sagte ich in dem Versuch, sie als Freundin zu unterstützen.
» Das Kostüm mache ich mir selber«, erklärte sie, und ich wurde plötzlich nervös.
Als ich in die Aula trat, konnte ich kaum die Gesichter der fünf Lehrer erkennen, die hinter dem Tisch vor der Bühne saßen. Aber da war ein Gesicht, das aus der Dunkelheit herausstach wie das Auge des Horus: das meiner alten Lehrerin Miss Grogney. Das Krippenspiel war ihr » Baby«, und sie prahlte damit, dass sie es selbst geschrieben habe, und vergaß dabei seltsamerweise, Matthäus oder Lukas auch nur zu erwähnen.
» Eleanor Maud?«, fragte eine Männerstimme.
» Ja«, antwortete ich.
» Alles in Ordnung mit dir?«, erkundigte sich die Stimme.
» Ja«, sagte ich und rückte nervös das Brillengestell auf meiner Nase zurecht.
» Hampel nicht so herum!«, schrie Miss Grogney, und ich wartete darauf, dass sie hinzufügte: Du Gotteslästerin.
» Was hast du uns denn mitgebracht?«, wollte der Mann wissen.
» Wie?«, fragte ich.
» Was du uns vorspielen willst?«, kam es von Miss Grogney.
Panik ergriff mein unvorbereitetes Ich.
» Also«, sagte Miss Grogney, » beeil dich ein bisschen.«
Ich ging langsam vor zum Bühnenrand. Worte gingen mir durch den Kopf, manche ganz klar, viele wahllos, bis sich einige zu einer Gruppe zusammenrotteten, und ich ein schlüssiges rhythmisches Muster erkannte. Ich konnte mich nicht an alles erinnern, aber es war einer von Nancys bevorzugten Monologen, den ich sie so gewissenhaft wie die Tonleiter hatte üben hören. Ich verstand auch nicht alles davon, aber vielleicht würde mein Publikum es ja, also hüstelte ich und sagte: » Es ist ein Teil aus dem Film Der Pakt*, und ich spiele die Rolle der Jackie und ich wäre dann so weit.«
» Also bitte«, forderte Miss Grogney mich auf.
Ich atmete tief durch und breitete die Arme aus.
» Ich weiß, dass du weder die Schuhe noch das Kleid bezahlen wirst. Aber wie wär’s mit der Abtreibung, verdammt! Oder gib mir wenigstens das Geld für ’ne Flasche Gin.«
» Genug!«, schrie Miss Grogney und zeigte mit dem Finger auf mich. » Du. Wartest.«
Da stand ich in der mir selbst auferlegten Dunkelheit und sah zu, wie sie die Köpfe zusammensteckten und miteinander flüsterten. Ich hörte sie sagen » interessant« und » gute Idee«. Aber was ich nicht hörte, war »Maria« oder »Josef«.
An diesem Abend trug meine Mutter ihr Lieblingsschmorgericht in die Küche und stellte es noch dampfend auf den Tisch. Es war dunkel, aber auf allen Abstellflächen flackerten Kerzen.
* Der Pakt war Anfang desselben Jahres, 1975, uraufgeführt worden und hatte sich zu einem Kultfilm entwickelt, dank einer fetischistischen Sexszene in einer Gruft. Die Regie führte B. B. Barole, ein junger Mann, der ganz klar auf Starkurs war, bevor ihn LSD von diesem Kurs abbrachte.
Meine Mutter hob den Deckel von der Auflaufform. Der köstliche, dunkle Duft von Fleisch, Zwiebeln und Wein stieg daraus hervor.
» Ich wünschte, wir könnten jeden Abend so speisen«, sagte mein Bruder.
»Speisen« war sein neues Lieblingswort. »Ausgezeichnet speisen« wurde später zu seinem Lieblingsausdruck.
» Vielleicht könnten wir später noch eine Séance abhalten«, schlug Nancy vor,
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