Als Gott ein Kaninchen war
sich seinem Mund näherte und ihn küsste. Endlich sah ich ihre Zukunft.
Den Nachmittag über verstreuten wir uns, verwickelt in Beschäftigungen, die lange auf Eis gelegen hatten. Meine Eltern waren drinnen und bastelten an einer neuen Online-Werbung für ihre Frühstückspension, jetzt, wo sie sich wieder bereit fühlten, Gäste aufzunehmen. Nancy saß in einem Liegestuhl neben Nelson und mir auf dem Rasen und schrieb an ihrem Drehbuch über eine bisexuelle Agentin im Zweiten Weltkrieg, das sie vorerst salopp Doppeltes Spiel nannte. (Ein Film, der im Jahr darauf in Vorproduktion ging, allerdings zum Glück nicht unter diesem Arbeitstitel.) Charlie und Joe waren unten auf der Wiese am Wasser und spielten mit einem ganz speziellen Ball. Sie warfen das Ding, als sei es ein Rugby-Ei, schleuderten es hoch in die Luft und achteten tunlichst darauf, dass es nicht zu Boden fiel, damit es nicht zerbrach.
Ich wusste nicht, warum sie das Ding überhaupt gekauft hatten, sie sagten bloß, sie wollten heute Abend kochen, ein authentisches Thaicurry oder etwas in der Art. Und sie brauchten es, weil es den feinen Unterschied im Geschmack mache, also hatten sie es gekauft– natürlich das Einzige, das es im Laden gegeben hatte–, und nun benutzten sie es als Rugby-Ei. Es war Joe, der es dieses eine letzte Mal warf. Er schleuderte es hoch in die Luft, und Charlie merkte schon lang bevor es über seinen Kopf sauste, dass es zu weit fliegen würde und sprintete zurück, als Arthur völlig unerwartet aus seinem Häuschen trat. Es wäre gut gegangen, wenn Arthur kurz innegehalten hätte, um sein Hemd zurechtzuziehen. So, wie er es normalerweise immer machte, oder wenn er noch eine Weile länger mit seinem Blindenstock herumgetastet hätte, oder sogar wenn er einfach bloß weitergegangen wäre. Aber das tat er nicht. Er blieb stehen, denn er nahm etwas über sich wahr, vielleicht einen Vogel? Und als er instinktiv nach oben blickte, raste ein Schatten auf seinen Kopf zu, und ein Lächeln zeichnete sich auf seinen Lippen ab, bis ein mächtiges Knacken zu hören war, und Arthur reglos zu Boden sank. Neben ihm lag die zerbrochene Kokosnuss.
Nancy und ich waren als Erste bei ihm und schrien: » Er atmet nicht!« Ich sah Charlie hektisch nach seinem Handy tasten, dann rannte er ins Haus. Ich fühlte Arthurs Puls. Nichts.
» Versuch’s noch mal!«, rief Joe und kam die Anhöhe hinaufgelaufen.
» Er ist tot«, flüsterte Nancy.
» Unmöglich! Er kann nicht tot sein. Das hätte schon vor Jahren passieren sollen.«
» Was meinst du damit?«, fragte Nancy irritiert.
» Das ist total falsch.«
» Was redest du da?«
» Na, der Yogi«, sagte ich.
» Welcher Yogi?«
Plötzlich war Joe bei uns. » Zählt mit«, rief er. » Sagt mir, wenn ich dreißig habe.« Und wir sahen ihm dabei zu, wie er mit der Herzmassage begann und versuchte, Leben zurück in den knochigen Körper zu pumpen, der aber nicht reagierte. Bei dreißig beugte er sich hinunter und blies ihm Luft in den Mund, zweimal hintereinander. Wieder zurück zur Herzmassage, dreißig Mal. Dann zum Mund, zweimal. Keine Reaktion.
» Komm schon, Arthur«, beschwor ich ihn. » Nicht jetzt.«
» Komm zurück zu uns!«, rief Nancy. » Scheiß auf den Yogi!«
Charlie kam zusammen mit meinen Eltern angerannt und übernahm die Wiederbelebungsversuche, als Joe erschöpft auf den Rasen sank. Ich zählte für Charlie mit. Dreißig, dann Mund-zu-Mund-Beatmung– keine Reaktion. Die Sirene eines Krankenwagens, der auf unser Haus zugerast kam. Siebzehn, achtzehn, neunzehn, zwanzig.
» Komm schon, Arthur«, sagte meine Mutter. » Komm schon, du kannst es.«
» Komm schon, Schatz«, sagte Nancy. » Atme, verdammt!«
Und dann ganz plötzlich, ich glaube, es war bei siebenundzwanzig, hustete Arthur und schnappte nach Luft. Er griff nach meiner Hand und drückte sie, schwach zwar, aber er drückte meine Hand. Und als die Sanitäter quer über die Wiese gelaufen kamen, sah er Joe an und sagte: » Wisch dir mal die Tränen weg, mein Junge. Ich bin noch nicht tot.«
Ich beugte mich zu ihm hinunter und fragte: » Woher weißt du denn, dass er weint, Arthur?«
Und er antwortete: » Ich kann wieder sehen.«
Alle sagten mir, ich solle mir keinen Kopf machen, sondern einfach abwarten. Sagten, sie käme irgendwann im neuen Jahr raus. Sie hätte schon zu Weihnachten raus sein sollen, aber die Zuständigen hatten doch abgelehnt. Also tauchte ich an jenem eiskalten Mittwoch dort auf, obwohl ich wusste,
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