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Als Gott ein Kaninchen war

Als Gott ein Kaninchen war

Titel: Als Gott ein Kaninchen war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Winman
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angelangt war, sah ich ihren Körper aus dem Dunkeln fallen, ein rosiges, plüschiges Häufchen, das nun mit dem Gesicht nach unten auf einem Strohballen lag. Sie sah zu mir hoch, ihr Gesicht dreckverschmiert.
    » Alles okay?«, erkundigte ich mich.
    » Ja«, sagte sie, als ich ihr aufhalf und mit der Hand die Blätter und Zweige von ihrem Lieblingsmorgenmantel bürstete.
    » Ich musste einfach raus, sie streiten mal wieder«, sagte sie. » Sie sind wirklich laut, und Mum hat eine Lampe an die Wand geworfen.«
    Ich nahm sie bei der Hand und führte sie den Weg zurück zum Haus.
    » Kann ich bei euch übernachten?«, fragte sie.
    » Ich frag meine Mum«, sagte ich. » Ich bin sicher, sie sagt Ja.« Meine Mutter sagte immer Ja. Wir setzten uns neben den Kaninchenstall, dicht zusammengedrängt wegen der Kälte.
    » Mit wem hast du denn hier draußen gesprochen?«, wollte Jenny Penny wissen.
    » Mit meinem Kaninchen. Es kann sprechen, weißt du. Es klingt wie Harold Wilson, der Premierminister.«
    » Echt? Glaubst du, es redet auch mit mir?«
    » Weiß nicht. Versuch’s.«
    » Hey, Hasi Hase«, sagte sie und stupste ihn mit ihren Wurstfingern in den Bauch. » Sag mal was.«
    » Aua, du kleine Mistgöre«, sagte Gott. » Das tut weh.«
    Jenny Penny verharrte stumm. Dann sah sie mich an. Und hielt noch einen Moment inne.
    » Ich hör’ nichts«, sagte sie schließlich.
    » Vielleicht ist er einfach müde.«
    » Ich hatte auch mal ein Kaninchen«, erzählte sie. » Als ich noch ganz klein war und wir in dem Wohnwagen lebten.«
    » Was ist mit ihm passiert?«, fragte ich und spürte bereits die befremdliche Zwangsläufigkeit der ganzen Sache.
    » Sie haben ihn gegessen«, sagte sie, und eine einsame Träne lief ihr über die schmutzige Wange bis zum Mundwinkel. » Sie haben zwar gesagt, dass es weggelaufen sei, aber ich wusste die Wahrheit. Nicht alles schmeckt wie Hühnchen.« Und sie hatte den Satz kaum zu Ende gesprochen, als sie die weiße Haut ihres Knies der Kälte preisgab und es rabiat über die Kante des Terrassenbodens schrammte. Das Blut floss sofort, lief ihr über die dralle Wade und versickerte in ihrem zerrissenen Söckchen. Ich starrte sie an, fasziniert und abgestoßen zugleich von diesem abrupten Gewaltausbruch und der Ruhe, die sich nun über ihr Gesicht ausbreitete. Die Hintertür ging auf, und mein Bruder trat heraus.
    » Meine Güte, ist das kalt hier draußen! Was macht ihr beide denn da?«
    Noch bevor wir antworten konnten, fiel sein Blick auf Jennys Knie, und er sagte: » Scheiße!«
    » Sie ist gestolpert«, sagte ich, ohne sie anzusehen.
    Mein Bruder beugte sich hinunter und hielt ihr Bein in den Lichtkegel, der aus der Küche hinaus auf die Terrasse fiel.
    » Lass mal sehen, was du da gemacht hast«, sagte er. » Gott, das sieht übel aus. Tut’s sehr weh?«, fragte er.
    » Nicht mehr«, sagte sie und vergrub die Hände in ihren übergroßen Taschen.
    » Du brauchst ein Pflaster«, sagte er.
    » Wahrscheinlich«, sagte sie. » Vielleicht auch zwei.«
    » Dann komm mal mit«, sagte er, hob sie hoch und drückte sie an seine Brust.
    Sie war mir vorher nie jung vorgekommen. Ihr nächtliches Dasein, ihre durch Vernachlässigung erzwungene Selbstständigkeit ließen sie älter wirken. Aber in jener Nacht, an seine Brust geschmiegt, sah sie klein und verletzlich aus und so, als vermisse sie etwas. Ihr Kopf ruhte friedlich an seinem Hals, und mit der Gewissheit seiner Fürsorge schloss sie die Augen, als er sie hineintrug. Ich folgte ihnen nicht gleich. Ich ließ ihr ihren Moment. Einen ungestörten Moment, in dem sie davon träumen und glauben konnte, dass alles, was ich hatte, ihr gehörte.

Ein paar Tage später wurden mein Bruder und ich von Rufen und entsetzlichem Geschrei aus dem Schlaf gerissen. Wir liefen am Treppenabsatz mit einem ganzen Arsenal behelfsmäßiger Waffen zusammen– ich mit einer tropfenden Klobürste, er mit einem langen, hölzernen Schuhlöffel–, bis mein Vater, gefolgt von meiner Mutter, die Stufen hochgestürmt kam. Er sah blass und ausgezehrt aus, als habe er in den paar Stunden zwischen Einschlafen und Aufwachen vierzehn Pfund Gewicht verloren.
    » Ich hab’s doch gesagt, oder nicht?«, sagte er zu uns, und Wahnsinn vernebelte seine sonst so vertrauten Züge.
    Mein Bruder und ich sahen uns ratlos an.
    » Ich hab doch gesagt, dass wir gewinnen werden, oder etwa nicht? Ich bin ein Glückspilz! Vom Glück gesegnet, auserwählt!«, rief er, ließ sich auf die oberste Stufe

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