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Als Gott ein Kaninchen war

Als Gott ein Kaninchen war

Titel: Als Gott ein Kaninchen war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Winman
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Aua!«, rief er. » Warum hast du das gemacht?«
    » Das hab ich mal im Fernsehen gesehen.«
    » Warum bist du als Pinguin verkleidet?«, fragte er.
    » Um dich zum Lachen zu bringen«, erwiderte ich.
    Und er lachte.
    » Wo ist denn dein Zahn hingekommen?«
    » Ich glaube, den hab ich verschluckt.«
    Wir waren die Letzten, die den Platz verließen, und das Auto hatte sich langsam etwas aufgewärmt, als sie zu mir auf den Rücksitz kletterten.
    » Habt ihr genug Platz?«, erkundigte sich meine Mutter vom Vordersitz.
    » Oh ja, viel Platz, Mrs Portman«, sagte Charlie Hunter, der beste Freund meines Bruders. Und natürlich hatte er viel Platz, denn meine Mutter hatte ihren Sitz so weit vorgeschoben, dass ihr Gesicht an der Windschutzscheibe klebte wie eine zerquetschte Fliege.
    Charlie war der Gedrängehalb (wie man mir erklärt hatte), und ich hielt das für die wichtigste Position, denn er entschied, wohin der Ball ging. Auf dem Rückweg fragte ich: » Wenn Joe dein bester Freund ist, warum hast du ihm dann nicht öfter den Ball gegeben?« Als Antwort erntete ich bloß Gelächter und ein Wuscheln durch die Haare.
    Ich mochte Charlie. Er roch nach Palmolive-Seife und Pfefferminzbonbons und sah aus wie mein Bruder, nur dunkler. Diese etwas dunklere Nuance ließ ihn älter als seine dreizehn Jahre erscheinen und auch ein bisschen klüger. Aber auch er kaute an den Nägeln, genau wie mein Bruder. Und während ich zwischen den beiden auf der Rückbank saß, beobachtete ich sie dabei, wie sie an ihren Fingern knabberten wie zwei Nagetiere.
    Mum und Dad mochten Charlie und fuhren ihn nach den Spielen immer nach Hause, weil seine Eltern nie unter den Zuschauern waren und sie das traurig fanden. Ich fand, es war ein Glück. Sein Vater arbeitete für einen Ölkonzern und hatte seine Familie von einem Land mit reichen Ölvorkommen zum anderen geschleppt, bis die natürlichen Ressourcen sowohl der Länder als auch der Familie erschöpft waren. Seine Eltern hatten sich scheiden lassen– was ich extrem aufregend fand–, und Charlie entschied sich damals dafür, als Schlüsselkind bei seinem Vater zu leben, statt bei seiner Mutter, die vor kurzem einen Frisör namens Ian geheiratet hatte. Charlie machte sich sein Essen selbst und hatte einen eigenen Fernseher im Zimmer. Er war wild und selbstständig, und mein Bruder und ich waren uns beide einig, dass, sollten wir jemals schiffbrüchig werden, es besser wäre, wenn wir mit Charlie Schiffbruch erleiden würden. In den Kurven lehnte ich mich unnötig weit zu ihm hinüber, nur um zu sehen, ob er mich wegstoßen würde, aber er tat es nie. Und als die Wärme sich schließlich auch bis auf den Rücksitz ausgebreitet hatte, kaschierten meine erhitzten Wangen mein Erröten, wenn ich von Charlie zu meinem Bruder blickte und wieder zurück.
    Charlies Nachbarschaft war das Musterbeispiel einer wohlhabenden Vorstadtgegend unweit unserer Straße. Die Gärten dort waren bepflanzt, Hunde hatten Marken, und die Autos wurden gepflegt. Hier herrschte ein Lebensstil, der das halbleere Glas meines Vaters gänzlich zu leeren schien und ihn im Wochenendverkehr sichtbar welken ließ.
    » Was für ein hübsches Haus«, sagte meine Mutter ohne auch nur einen Anflug von Neid.
    So war sie immer: dankbar für das Leben an sich. Ihr Glas war nicht nur halbvoll, es war vergoldet, und man konnte sich immer nachschenken.
    » Danke fürs Mitnehmen«, sagte Charlie, als meine Mutter die Tür öffnete.
    » Jederzeit gern«, sagte mein Vater.
    » Tschüss, Charlie«, sagte meine Mutter mit der Hand bereits am Sitzhebel, und Charlie beugte sich zu meinem Bruder hinüber und sagte leise, dass sie später noch mal telefonieren würden. Ich beugte mich zu ihm und sagte, » ich auch«, aber er war schon ausgestiegen.
    An diesem Abend dröhnten die Fußballergebnisse aus dem Wohnzimmer zu uns herüber in die Küche; ein fernes Update wie ein Seewetterbericht, aber nicht so wichtig und bestimmt nicht so interessant. Wir ließen oft den Fernseher im Wohnzimmer laufen, wenn wir in der Küche aßen. Er leistete uns Gesellschaft, glaube ich, als wäre unsere Familie eigentlich dazu bestimmt gewesen, größer zu sein, und die entfernten Stimmen machten uns erst komplett.
    In der Küche war es warm, und es roch nach Teekuchen, und die Dunkelheit aus dem Garten rüttelte an den Fenstern wie ein hungriger Gast. Die Platane war noch nackt; ein Gewirr aus Nervensträngen und Adern, das sich in die blauschwarze Nacht reckte.

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