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Als Gott ein Kaninchen war

Als Gott ein Kaninchen war

Titel: Als Gott ein Kaninchen war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Winman
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Sozialwohnungen, die die Sportplätze überragten, und ließ uns im Schatten frösteln. Ich versuchte zu klatschen, aber ich konnte mich kaum bewegen. Ich war in einen Mantel gequetscht, den Mr Harris, unser Nachbar, eine Woche zuvor für mich gekauft hatte. Ein totaler Fehlkauf, von dem niemand außer dem Laden profitierte. Es war das erste Mal, dass ich ihn anhatte, und das auch eher unfreiwillig. Denn nachdem ich mich endlich hineingezwängt hatte, musste ich beim wahrhaft grauenhaften Anblick meiner selbst erst mal nach Luft schnappen. Und dann blieb mir nicht mehr genug Zeit, mich ohne Gewaltanwendung wieder herauszuschälen und ins Auto zu steigen.
    Mr Harris hatte ihn bei einem Ausverkauf entdeckt und statt sich zu fragen » Würde Eleanor Maud dieser Mantel gefallen? Würde er Eleanor Maud stehen?«, musste er wohl gedacht haben: » Dieses potthässliche Ding ist annähernd ihre Größe und bestimmt sieht sie total bescheuert darin aus.« Der Mantel war weiß, hatte schwarze Ärmel und einen schwarzen Rücken, außerdem saß er so eng wie eine Kniebandage. Er war aber weniger nützlich, und obwohl er mir die Kälte vom Leibe hielt, hatte ich das Gefühl, es läge lediglich daran, dass die Kälte bei meinem Anblick abrupt stehenblieb und in schallendes Gelächter ausbrach. Meine Eltern waren zu höflich (schwach), um mir zu sagen, dass ich ihn nicht anziehen müsse. Alles, was sie dazu sagten, war, dass es eine nette Geste sei und sicher bald wieder schöneres Wetter wäre. Ich sagte, dass ich bis dahin schon tot sein könnte.
    Die zweite Halbzeit wurde angepfiffen, und der Ball flog in die Luft. Mein Bruder rannte drauflos, mit hoch erhobenem Kopf, ließ ihn auf seiner Flugbahn nicht aus den Augen. Er wich gegnerischen Spielern instinktiv und überraschend flink aus– und dann der Sprung. Er hing in der Luft, als er den Ball fing, und beförderte ihn dann mit einer einfachen Bewegung aus dem Handgelenk zu einem seiner Mitspieler. Mein Bruder hatte die Hände meiner Mutter: Er brachte den Ball zum Sprechen. Ich jubelte und wollte die Arme hochreißen, aber es ging nicht. Sie hingen steif an meinem Körper herunter wie die Arme eines Gelähmten.
    » Los, ihr Blauen!«, rief meine Mutter.
    » Los, ihr Blauen!«, schrie ich so laut, dass sie zusammenzuckte und » Schsch!« machte.
    Mein Bruder stürmte die Seitenlinie entlang, den Ball geschickt unter den Arm geklemmt. Noch dreißig Meter, zwanzig Meter, dann täuschte er einen Wurf nach links an.
    » Los, Joe!«, schrie ich. »Lauf, Joe! Lauf!«
    Er knickte leicht um, aber er fiel nicht hin; noch immer hatte ihn keiner eingeholt. Noch fünfzehn Meter. Er sah sich nach Unterstützung um, das Ziel in Sicht. Und dann, wie aus dem Nichts, erhob sich aus dem Matsch eine fünfköpfige menschliche Wand. Er krachte in vollem Lauf hinein. Knochen, Knorpel und Zähne prallten aufeinander und legten sich mit ihm in Blut und Schlamm lang. Körper landeten auf ihm, purzelten von allen Seiten übereinander, bis es auf den Zuschauerrängen und dem Spielfeld still wurde.
    Die Sonne tauchte zögernd wieder hinter den Mietskasernen auf und schien auf die Skulptur aus menschlichen Trümmern, unter der mein Bruder begraben lag. Ich blickte zu meinen Eltern hoch. Meine Mutter hatte sich abgewendet, unfähig, das Ganze mitanzusehen. Sie hielt sich mit zitternden Fingern die Hände vor den Mund. Mein Vater klatschte und rief laut: » Gut gemacht, Junge! Gut gemacht!« Eine etwas ungewöhnliche Reaktion auf einen vermeintlichen Genickbruch. Es war offensichtlich, dass ich die Einzige war, die die Gefahr spürte, also stürzte ich aufs Spielfeld. Ich hatte gerade mal den halben Weg zu ihm zurückgelegt, als jemand rief: »Piep, piep, Pinguin!«
    Ich blieb stehen und sah mich um. Die Leute lachten über mich. Sogar meine Eltern lachten über mich.
    Der Schiedsrichter pflückte die lädierten Spieler wieder auseinander, bis ganz unten zusammengeknautscht mein Bruder zutage kam, reglos, halb im Matsch versunken. Ich wollte mich zu ihm hinunterbeugen, wurde aber von meiner Zwangsjacke daran gehindert. Ein weiterer Versuch war folgenschwer, denn ich verlor das Gleichgewicht und fiel mit solcher Wucht auf ihn, dass er sich ruckartig aufsetzte.
    » Hallo«, sagte ich. » Bist du okay?«
    Er blickte mich verwundert an, erkannte mich nicht.
    » Ich bin’s. Elly«, sagte ich und fuchtelte ihm mit der Hand vor dem Gesicht herum. » Joe?«, fragte ich und gab ihm reflexartig eine Ohrfeige.
    »

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