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Als Gott ein Kaninchen war

Als Gott ein Kaninchen war

Titel: Als Gott ein Kaninchen war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Winman
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fallen und brach in Tränen aus.
    Seine Schultern wurden von bebenden Schluchzern geschüttelt, die die Tränen der vergangenen Pein lösten, und zusehends bekam sein Selbstwertgefühl Auftrieb von diesem wunderbaren Stück Papier, das er zwischen Daumen und Zeigefinger hielt.
    Meine Mutter streichelte ihm über den Kopf und ließ ihn dann fötusgleich auf der Treppe zurück. Sie schob uns in ihr Zimmer, in dem es noch nach Schlaf roch. Die Vorhänge waren zugezogen, das Bett in Unordnung und kalt. Wir waren beide merkwürdig nervös.
    » Setzt euch«, sagte sie.
    Wir gehorchten. Ich saß auf ihrer Wärmflasche und spürte die nachklingende Wärme.
    » Wir haben bei den Fußballwetten gewonnen«, verkündete sie ganz sachlich.
    » Ich werd verrückt!«, sagte mein Bruder.
    » Was hat Dad denn dann?«, fragte ich.
    Meine Mutter setzte sich zu uns aufs Bett und strich das Laken glatt.
    » Er ist traumatisiert«, erklärte sie und versuchte gar nicht erst, die Tatsache zu verbergen, dass es so war.
    » Was heißt das?«, fragte ich.
    » Durchgeknallt…«, flüsterte mein Bruder.
    » Ihr wisst ja, was euer Vater von Gott und diesen Dingen hält, nicht?«, sagte sie und starrte noch immer auf die Stelle des Lakens, auf der ihre Hand wie hypnotisiert langsame, kreisende Bewegungen machte.
    » Ja«, sagte mein Bruder, » er glaubt nicht dran.«
    » Ja, na ja, es ist kompliziert. Er hat dafür gebetet, und jetzt wurden seine Gebete erhört, und damit hat sich für euren Vater eine Tür geöffnet. Und um da hindurchzugehen, das weiß er, muss er einiges über Bord werfen.«
    » Was muss er denn über Bord werfen?«, wollte ich wissen und fragte mich, ob vielleicht wir damit gemeint waren.
    » Das Bild des schlechten Menschen, das er von sich selbst hat«, sagte meine Mutter.
    Der Fußballwettengewinn sollte für jeden ein Geheimnis bleiben, außer für Nancy natürlich. Aber die war zu der Zeit gerade im Urlaub in Florenz, mit ihrer neuen Freundin, einer amerikanischen Schauspielerin namens Eva. Ich durfte es nicht einmal Jenny Penny sagen. Also malte ich immer wieder haufenweise Münzen, um ihr einen versteckten Hinweis zu geben. Doch sie fasste es als verschlüsselte Botschaft auf, dass sie Geld aus der Tasche ihrer Mutter stehlen sollte. Das erledigte sie dann auch nach allen Regeln der Kunst, indem sie die Münzen durch Brausebonbons ersetzte.
    Da es ausgeschlossen war, dass wir mit der Welt draußen über unseren Gewinn redeten, hörten wir auch auf, innerhalb unserer Familie darüber zu sprechen. So wurde es zu etwas, das uns eben ganz nebenbei passiert war, statt zu dem lebensverändernden Ereignis, zu dem es die meisten anderen– normalen– Menschen vermutlich hätten werden lassen. Meine Mutter jagte in den Geschäften noch immer nach Schnäppchen, und ihre Sparsamkeit wurde geradezu zwanghaft. Sie stopfte unsere Socken, flickte unsere Jeans, und sogar die Zahnfee verweigerte mir eine Entschädigung für einen besonders schmerzhaften Backenzahn, selbst als ich einen Zettel dazulegte, auf dem stand, dass mit jedem weiteren versäumten Tag Zinsen anfielen.
    Eines Tages im Juni, etwa zwei Monate nach » dem Gewinn«, fuhr mein Vater in einem nagelneuen, silbernen Mercedes mit getönten Scheiben vor, so wie ihn eigentlich bloß Diplomaten besitzen. Die ganze Straße versammelte sich, um diese so offene Prahlerei mitzuerleben. Als die Tür aufging und mein Vater ausstieg, war buchstäblich das Geräusch von knackenden Kiefern zu hören, weil allen die Kinnlade herunterfiel. Mein Vater versuchte zu lächeln und sagte etwas Fadenscheiniges, etwas von einem » Bonus«. Aber ohne dass es ihm bewusst war, war er die Leiter, die nur für die Elite bestimmt war, hochgeklettert. Er blickte nun bereits von oben herab auf die vertrauten Gesichter, mit denen er viele Jahre seines Lebens verbracht hatte. Ich genierte mich dafür und ging zurück ins Haus.
    An diesem Tag aßen wir schweigend zu Abend. Das Thema, das allen auf den Lippen lag, war » das Auto« und gab jedem Bissen einen bitteren Beigeschmack. Irgendwann hielt meine Mutter es nicht mehr aus und fragte sachlich » Warum?«, stand dann auf und holte sich noch ein Glas Wasser.
    » Ich weiß es nicht«, erwiderte mein Vater. » Weil’s ging, also hab ich’s gemacht.«
    » Das sind nicht wir. Dieses Auto entspricht uns nicht. Es steht für alles Hässliche dieser Welt«, sagte sie.
    Wir sahen meinen Vater an.
    » Ich habe noch nie zuvor ein neues Auto gekauft.«
    » Es

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