Als Gott ein Kaninchen war
brechende Sonnenlicht, so weiß und stechend wie Eis.
Wir fuhren vorbei am Aldwych Theatre, den Royal Courts of Justice und die Fleet Street hinunter, wo ich während meines Studiums gewohnt hatte. Damals hatte es dort noch gar nichts gegeben, heute nur wenig (die Cafés würden erst später kommen), und ich hatte immer bis zu einem Laden an The Strand laufen müssen, wenn ich spätabends noch eine Kleinigkeit zu essen brauchte oder um den vergessenen Liter Milch zu kaufen. Als wir auf die Bouverie Street zusteuerten, blickte ich zum Fluss hinüber und sah das imposante Gebäude am Ende der Straße auf der rechten Seite, in der Nähe des früheren Sitzes der Daily Mail.
Damals waren wir sieben Leute, verteilt in winzigen Zimmern in den obersten zwei Stockwerken: Schauspieler, Schriftsteller, Künstler und Musiker. Wir waren eine Art verstecktes Ghetto, abseits des Lebens, das in den legalen Büros unter uns gelebt wurde. Wir lebten eigenbrötlerisch und abgeschieden. Schliefen tagsüber und entfalteten uns erst in der Abenddämmerung, duftend und üppig wie Kerzen. Wir wollten nie die Welt erobern, bloß unsere eigenen Ängste bezwingen. Wir hielten keinen Kontakt. Nur über unsere Erinnerungen, irgendwo.
Ich machte die Balkontüren auf und sah über den Platz. Das Gefühl, frei und privilegiert zu sein, das mit dem Ausblick einherging, war unvorstellbar in seiner Ruhe und Schönheit und noch nie deutlicher als an diesem Abend. Ich knöpfte meine Bluse auf. Ich hatte mich den ganzen Tag schmutzig gefühlt, aber jetzt zog ich ein Glas Martini einer Dusche vor. Warum war sie nicht gekommen? Warum war sie im letzten Moment eingeknickt? Lag es an mir? Hatte ich zu viel von ihr verlangt? Meine Enttäuschung war bitter, als besitze sie den Schlüssel zu irgendetwas Namenlosem, etwas Lebenswichtigem.
Ich setzte mich und ließ die Olive in meinem Glas kreisen. Nebenan erklang Musik, schwebte hinaus über den Platz und trug meine Gedanken mit sich fort; brachte mich noch einmal zurück in die Räume meiner Kindheit, zu wiederentdeckten Gesichtern und Spielen und Späßen, die wir einst lustig fanden.
Ich musste wieder an das Weihnachten denken, das sie bei uns verbracht hatte, ihren unerschütterlichen Glauben an die seltsame Erklärung, die uns in der langen darauffolgenden Nacht den Schlaf raubte. Ich sah sie wieder am Strand vor mir, wie sie auf der Wasseroberfläche im Mondlicht lief, ihr Haar wild und kompromisslos in der salzigen Brise, ihre Ohren taub für meine Bitten.
» Schau!«, rief sie mit zu beiden Seiten ausgestreckten Armen. » Schau, was ich kann!«, bevor sie im dunklen Meer versank, ohne zu strampeln, völlig gelassen angesichts der wogenden Wellen. Sie tauchte erst durch das beherzte Einschreiten meines Bruders wieder auf.
» Verdammte Scheiße, was soll das, Jenny?«, schrie er, als er ihren schlaffen, glücklichen Körper durch die Brandung und über die Kieselsteine am Strand zog. » Du verdammte kleine Irre! Wir passen alle auf dich auf, machen uns Sorgen um dich. Wie kannst du nur? Du hättest da draußen ertrinken können.«
» Ich war nie wirklich in Gefahr«, sagte sie unbeeindruckt. » Mich kann nichts verletzen. Nichts kann mich mir selbst wegnehmen.«
Und von dem Moment an beobachtete ich sie. Sah sie mit anderen Augen, bis die lodernde Energie, die durch meinen Körper strömte, sich schließlich offenbarte und einen Namen bekam: Neid. Denn ich wusste schon damals, dass ich mir selbst weggenommen worden war, ersetzt durch die verzweifelte Sehnsucht nach der Zeit davor, einer Zeit vor der Angst, einer Zeit vor der Scham. Und nun hatte dieses Wissen eine Stimme bekommen, und es war eine Stimme, die sich aus den Tiefen meines Inneren erhob und den Nachthimmel anheulte wie ein verwundetes Tier, das sich nach seinem Zuhause sehnt.
Sie erklärte mir nie, was passiert war, warum sie nicht aufgetaucht war, und ich drängte sie auch nicht. Stattdessen verschwand sie wochenlang, ließ meine besorgten Briefe unbeantwortet. Doch als der Juni heranrückte, kündigte das vertraute Gekrakel auf einem Briefkuvert ihr Wiederauftauchen an. Darin befand sich wieder eine selbstgemachte Karte, die diesmal das Bild eines einzelnen Kaninchens zierte.
Es tut mir leid, Elly, stand in winzigen ausgeschnittenen Buchstaben darauf. Hab Geduld mit mir. Es tut mir leid.
» Tut mir leid«, sagte er. » Ich weiß, es ist spät.«
Ich hatte gerade erst einen Artikel für eine Zeitschrift zu Ende geschrieben, war zu
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