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Als Gott ein Kaninchen war

Als Gott ein Kaninchen war

Titel: Als Gott ein Kaninchen war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Winman
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Als Kind musste ich die ganze Zeit auf sie warten, aber es ärgerte mich nicht, denn ich selbst hatte schließlich nicht dieses Problem, das ihr zuverlässig Stunden ihres Lebens raubte.
    » Tut mir leid, dass ich zu spät bin«, hatte sie immer gesagt. » Meine Haare mal wieder.« Und sie sagte es, als sei es eine Krankheit wie Asthma oder eine Gehbehinderung oder ein Herzfehler, etwas, das sie langsamer machte. Einmal wartete ich geschlagene zwei Stunden vor dem Bolzplatz und stieß erst auf dem Rückweg auf sie.
    » Du glaubst nicht, was gerade passiert ist«, sagte sie und fing hemmungslos an zu weinen.
    » Was denn?«, fragte ich.
    » Ich musste meine Haare siebenundzwanzig Mal kämmen, bevor ich sie ordentlich zusammenbinden konnte«, schluchzte sie. Und ich legte instinktiv den Arm um ihre Schultern, als hätte sie sich wehgetan oder schlimmer– als hätte ihr das Leben auf übelste Weise mitgespielt–, und sie klammerte sich minutenlang an mir fest, bevor sie sich in unserer trauten Welt wieder sicher fühlte. Erst dann ließ sie mich los, lächelte und sagte: » Du darfst mich nie verlassen, Elly.«
    Eine Frau kam einzeln durch die Tür. An den meisten Tischen waren die Gespräche schon in vollem Gange. Nur ich und ein weiterer Tisch warteten. Ihr Haar war ziemlich kurz und wellig. Sie schaute in meine Richtung, und ich lächelte. Sie hatte mich noch nicht gesehen. Sie war groß und schlank, geradezu hager, und sie ließ die Schultern leicht nach vorne hängen, so dass ihre Brust eingefallen wirkte und sie gebückt ging, was sie um Jahre altern ließ. Ich glaubte nicht, dass sie es sein könnte. Aber während ich ihre Bewegungen studierte, fing ich an, Züge in ihr Gesicht hineinzulesen, die mir einmal vertraut gewesen sein mochten und es vielleicht sogar jetzt noch waren. Und dann, als sie auf mich zuging, stand ich auf, als wäre sie gekommen, um mit mir zu Abend zu essen. Aber sie ging vorbei zu dem Tisch mit zwei Besucherinnen hinter mir und sagte: » Wie geht’s, Mum?«
    » Du siehst gut aus, Jacqui. Stimmt’s, Beth?«
    » Ja, sie sieht gut aus.«
    » Danke. Wie geht’s Dad?«
    » Wie immer.«
    » Nervig wie immer. Er lässt dich grüßen.«
    » Grüß ihn zurück.«
    Er war ganz plötzlich da, der Moment, in dem mir klar wurde, dass sie nicht kommen würde. Ich hörte ihre Stimme inmitten der vielen anderen in diesem geschlossenen Raum, und sie sagte: » Tut mir leid, Elly, ich kann nicht.« Es geschah, bevor der Vollzugsbeamte auf mich zukam, bevor er sich zu mir beugte und mir ins Ohr flüsterte, bevor alle im Raum verstummten und mich anstarrten.
    Es fühlte sich genauso an wie beim letzten Mal, als ich versetzt wurde und diese Verschmähung dazu führte, dass Selbstekel sich um mein sowieso schon brüchiges Selbstbild schlang. Ich hatte versucht, das zu werden, was er wollte, was jedoch unmöglich war, denn was er wollte, war jemand anderes. Aber ich versuchte es trotzdem, auf meine erschöpfte, die Realität verkennende Art. Und ich wartete auf ihn. Wartete, bis die Bar sich leerte und sogar die Angestellten müde zum Ausgang trotteten. Ich wartete so lange, bis sein Fernbleiben sich in mein Herz eingenistet hatte und zu der Bestätigung für etwas wurde, was ich eigentlich schon immer gewusst hatte.
    Ich stand auf und eilte unverkennbar peinlich berührt zum Ausgang. Dabei ließ ich eine der Taschen fallen und hörte den Tiegel der Gesichtscreme zerbrechen, aber das machte nun auch nichts mehr, denn ich würde sie sowieso gleich am Bahnhof in den nächsten Mülleimer stopfen.
    Die Zugfahrt nach Hause war nervtötend und zog sich. Ich wurde es müde, die Gespräche der anderen Fahrgäste zu belauschen. Ich war die vielen Stopps an Bahnhöfen von irgendwelchen Käffern » bloß einen Steinwurf von London entfernt, aber mit all den Vorzügen des Landlebens« müde. Ich war es müde, an sie zu denken.
    Die Taxifahrt über die Waterloo Bridge machte mich wie immer wieder munter, und ich entspannte mich zunehmend, als ich nach Osten schaute und den vertrauten Anblick der St Paul’s Cathedral, der St Bride’s Church und der verschiedenen Hochhäuser der Docklands, die in der Frühabendsonne schimmerten, registrierte. Pendler gingen zu Fuß; Busse waren überflüssig. Die alten, am Ufer festgemachten Dampfer waren voll mit Menschen, die ein Feierabendbier tranken, und die kühle Brise, die flüsternd durch die Stadt wehte, schnipste die Wasseroberfläche der Themse an und verstreute das sich

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