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Als Gott ein Kaninchen war

Als Gott ein Kaninchen war

Titel: Als Gott ein Kaninchen war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Winman
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Bett gegangen und sah auf die Uhr– drei Uhr morgens–, als das Telefon klingelte. Ich erwog kurz, einfach den Anrufbeantworter rangehen zu lassen, aber das brachte ich nie fertig, denn ich wusste, dass er es war– er rief immer um diese Zeit an. Also griff ich nach dem Hörer und sagte: » Joe?« Und er erwiderte: » Rate mal.« Und ich sagte: » Was denn?« Und er tat etwas Ungewöhnliches. Er lachte.
    » Was ist los?«, fragte ich und hörte das Geräusch von Leuten im Hintergrund, Gläserklingen. » Was machst du gerade?«
    » Bin aus.«
    » Das ist gut«, sagte ich.
    » Rate mal, wer hier ist.«
    » Keine Ahnung«, erwiderte ich.
    » Rate«, forderte er mich noch einmal auf.
    » Keine Ahnung«, sagte ich noch einmal, plötzlich gereizt. » Gwyneth Paltrow?« (Er hatte sie tatsächlich zwei Wochen zuvor bei einer Eröffnung kennengelernt und mich gezwungen, am Telefon mit ihr zu sprechen, als sei ich ihr größter Fan.)
    » Nein«, sagte er. » Nicht Gwynnie.«
    » Wer dann?«, fragte ich und rückte mein Kissen zurecht.
    Und er sagte es mir.
    Und in der Leitung hörte ich eine Stimme, die die seine sein konnte oder auch nicht, eine Männerstimme, nicht die eines Jungen, umhüllt von achtzehn Jahren des Schweigens. Aber als er sagte » Hey, kleine Ell«, was er immer zu mir gesagt hatte, fühlte sich meine Haut an, als würde ich durch Federn fallen.
    Zwei Wochen später erhob sich das Geplapper und Gehupe New Yorks in der Greene Street, während das Sonnenlicht durch die großen Fenster hereinströmte und den Raum in übermäßiges Licht tauchte, das verschwenderisch und gierig erschien. Ich wälzte mich herum und schlug die Augen auf. Mein Bruder stand vor mir, mit einer Tasse Kaffee in der Hand, und starrte mich an.
    » Wie lange stehst du da schon?«, fragte ich.
    » Zwanzig Minuten«, sagte er. » Manchmal auf einem Bein. Schau, so«, und er zeigte es mir. » Oder so«, und er wechselte das Bein. » Wie ein Aborigine.«
    » Du bist echt seltsam«, sagte ich und wälzte mich wieder herum, müde, glücklich, verkatert.
    Ich war ziemlich spät am Abend zuvor gelandet. Joe hatte mich wie immer am JFK abgeholt und ein großes Schild hochgehalten, auf dem » Sharon Stone« stand. Er liebte es, das Flüstern der Passanten zu hören, die gierige Erwartung der Starbegeisterten. Und er liebte es, ihre sprachlose Enttäuschung zu sehen, wenn ich dann vor ihm stand, zerzaust und leger gekleidet und so gar nicht Sharon Stone. Er genoss diese für die Massen bestimmte Botschaft und überbrachte sie mit einer Präzision, die beinahe an Grausamkeit grenzte.
    Als das Taxi über die Brooklyn Bridge fuhr (die Brücke, die wir den Fahrer immer nehmen ließen), machte ich das Fenster auf, um den Geruch und den Lärm der Stadt hereinzulassen. Mein Herz machte einen Sprung, als die Lichter mich mit ihrem Glanz willkommen hießen, mich vorantrieben wie schon Millionen andere mit dem Wunsch nach einem anderen Leben. Mein Bruder war einer dieser Geköderten; angelockt vom Versprechen der Anonymität, nicht des Goldes. An einen Ort, wo er er selbst sein konnte, ohne die Etiketten der Vergangenheit, ohne die harte Schule des Erarbeitens und wieder Verwerfens, ohne die Dinge, die wir eben tun müssen, bevor wir die Antwort darauf bekommen, wer wir sind.
    Als ich zum Bankenviertel hinübersah, spürte ich ein Ziehen in meiner Brust– für meinen Bruder, für Jenny, für die Vergangenheit, für Charlie. Ich konnte sie wieder fühlen, die klare Trennung von uns und den anderen in der Welt meines Bruders, worin ich immer zum wir gehörte. Er zeigte auf die Zwillingstürme und fragte: » Du warst noch nie oben, oder?« Und ich sagte: » Nein.«
    » Man schaut von da aus runter und ist völlig abgeschnitten von allem. Es ist eine andere Welt. Ich war letzte Woche zum Frühstücken da. Stand am Fenster, lehnte die Stirn daran und spürte, wie meine Gedanken vom Leben da unten angezogen wurden. Es war irre, Elly. Echt irre. Das Leben unten fühlt sich so weit weg an, wenn man dort oben ist. Die Belanglosigkeit der Existenz.«
    Das Taxi hielt abrupt an. » Ja, ja, willst du mich umbringen, verdammt? Leck mich, Arschloch!«
    Wir fuhren langsam weiter, und mein Bruder beugte sich an die Trennscheibe und sagte: » Fahren wir lieber zum Algonquin Hotel, Sir.«
    » Wie du willst, Kumpel«, antwortete der Fahrer und scherte gefährlich knapp auf die Innenspur. Er streckte die Hand nach dem Radio aus und schaltete es ein. Liza Minnelli. Ein Lied

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