Als Gott ein Kaninchen war
Abende, wie er sie früher mit Arthur verbracht hatte. An denen sie über Halston und Warhol sprachen und all diese Partys in den Siebzigern, deren Mottos so unklar waren wie die Vorlieben der Gäste.
Und dann kam ein Mann über die Feuertreppe herunter. Ein junger Mann, so schien es in der von Kerzen erleuchteten Nacht; weniger jung, als er näherkam. Aber Ray sah zu ihm hinüber, lächelte und sagte: » Und wer bist du, schöner junger Held?« Und der Mann lachte und sagte: » Mein Name ist Charlie Hunter. Wie geht’s dir, Joe?«
Der Kellner stellte uns die zweite Runde Martinis hin. Ich hatte Hunger. Ich bestellte mehr Oliven.
Sie stopften Jahre in die verbleibenden Stunden, bevor sie hinaus auf die Gehsteige des Village stolperten und zurück nach SoHo liefen, glücklich und betrunken und ohne es glauben zu können. Sie verbrachten das ganze Wochenende in Joes Wohnung, eingemummelt in Filme, Essensschachteln vom Lieferservice und Bier, und verschlangen gierig die Jahre, die verlorenen Jahre, die die Persönlichkeit des jeweils anderen definiert hatten.
Charlie erzählte ihm, dass er eigentlich nur zufällig auf der Party war. Er hätte eigentlich schon zu Hause in Denver sein sollen, aber sein Flug wurde verschoben, und dann war plötzlich auch noch ein weiteres Meeting für Montag anberaumt worden. Und ein Geschäftspartner, den er nur als Phil kannte, hatte gesagt: » Bleib doch, heute ist da so eine Party.« Also war er geblieben und hatte Phil seitdem nicht mehr gesehen; nicht mehr, seit er ihn bei der stillen Auktion zurückgelassen hatte, wo er für ein Abendessen im Tribeca Grill zusammen mit einer unbekannten Berühmtheit mitgeboten hatte.
Joe stürzte den restlichen Inhalt seines Glases hinunter. » Und rate mal was, Elly. Ich glaube, er wird nach New York ziehen.«
Das war der Moment, als ich ihn wirklich hätte fragen wollen, ob sie wieder zusammen waren, aber ich glaube, ich habe es nicht getan, weil ich mich nicht mehr daran erinnern konnte, denn dann bestellten wir unseren dritten Martini. Den dritten Martini, der in diesem Augenblick so eine gute Idee zu sein schien. Den dritten Martini, den ich noch immer schmeckte, als ich vom stechenden Sonnenlicht aufwachte und mein Bruder auf einem Bein vor mir stand, mit einem doppelten Espresso Macchiato, und so tat, als sei er ein Aborigine.
Das Stadthaus lag eingebettet im Herzen des Village in einer grünen Allee, die ruhig und seltsam abgeschieden war, wenn man bedachte, dass sie sich gleich um die Ecke der Bleecker Street und unweit des Washington Square befand. Wir konnten den Makler schon telefonierend unter einer Bitteresche stehen sehen, die wenig Schatten gegen die unerbittliche Nachmittagssonne bot.
Die letzten paar Meter bis zu ihm rannten wir, ein spontanes Wettrennen– auf die Plätze, fertig, los–, das ich gewann, weil ich als Erste das schwarze Eisengeländer berührte. Der Makler wirkte verwirrt; wir hatten rote, verschwitzte Gesichter und sahen vor allem arm aus, als könnten wir nicht einmal das Geld für einen Hot Dog aufbringen, ganz zu schweigen von einer erstklassigen New Yorker Immobilie.
Der Duft der Bitteresche wurde durchdringend, als wir die Stufen zur Haustür hinaufstiegen, und beim Eintreten in das Haus vermischte er sich mit dem Geruch von Feuchtigkeit. Ein Geruch, der, wie uns der Makler sofort versicherte, eher ein kosmetisches Problem darstellte, statt des baulichen Warnzeichens, das wir dahinter vermuteten. Es war finster, als wir eintraten, zum Glück unmöbliert, und die Räume verschleiert von Fensterläden aus Holz, die auf halbem Weg klemmten, wenn man versuchte, sie aufzumachen. Als weigerten sie sich, Licht in dieses Königreich des Staubs dringen zu lassen. Innen war das Haus eher beengt, mit einem unförmigen Grundriss, der an einen Hühnerstall erinnerte. An den Wänden klebten gestreifte Papiertapeten, die sich wie ein orange-braun-schwarzes Motiv durchzogen, und die Treppengeländer aus dunklem Eichenholz waren, einmal schlampig überpinselt, unter Malfarbe in Mokkabraun verborgen. Ich durchquerte den Hausflur und folgte den schmalen Stufen zu den oberen beiden Stockwerken– das oberste hatte ein Loch im Dach und beherbergte ein Vogelnest– und ging dann unsicher wieder hinunter zur Küche und hinaus in den angrenzenden, wenig reizvollen Garten, der aus nichts als Unkraut und kniehohen Bittereschenbäumchen bestand, deren Samen von der Allee vorne herübergeweht sein mussten. An diesem Haus
Weitere Kostenlose Bücher