Als ich noch der Waldbauernbub war - Arena Kinderbuch-Klassiker
Decken.
»Ja, zwei blutige Knie«, fuhr ich fort, »und die sind über die Heide dahingeschwebt gegen den finsteren Wald, wie eine verlorne Seel’. Aber auf einmal sind die zwei blutigen Knie –«
»Ich schenk dir mein blaues Hosenband, wenn du still bist!«, jammerte mein Bruder angstvoll und verbarg sich noch tiefer in die Decke.
»– sind die zwei blutigen Knie stillgestanden«, fuhr ich fort, »und auf dem Boden ist ein Stein gelegen, so weiß wie ein Leichentuch. Dann sind zwei funkelnde Lichtlein gewesen zwischen den Bäumen und darauf sind vier andere blutige Knie dahergeschwebt –«
»Mein neues Paar Schuhe schenk ich dir, wenn du aufhörst!«, hauchte das Jakoberle in seinem Trog und zog aus lauter Furcht das Zeitzerl am Barte zu sich.
»Und so sind alle sechs zusammen gegangen durch den finsteren Wald und hinaus auf die Heide und über das Haferfeld herab zu unserem Hause – und herein in den Stall –«
Jetzt kreischten alle drei auf und sie wimmerten und wussten ihrer Angst kein Ende und Klein Schwesterlein versprach mir mit Zagen seinen Teil von dem auch heuer wieder zu erwartenden morgigen Sonnwendkuchen, wenn ich aufhöre. Ich aber fuhr fort:
»Jetzt – na, jetzt hab ich zum Anfang zu sagen vergessen, dass die zwei ersten blutigen Knie unserem Jakoberle und die vier letzteren seinem Zeitzerl gehört haben – wie sie heut im Wald herumgegangen sind.«
Brach auf einmal das Gelächter los. »Jeder Mensch hat zwei blutige Knie!«, rief Schwesterlein und die Ziegen meckerten, dass es ein Jubel war.
Ich hatte meine Rolle ausgespielt. Dreihundertvierundsechzig Nächte lang hatte ich geglänzt als weiser, wahrhaftiger Geschichtenmann; die dreihundertfünfundsechzigste hatte mich entlarvt als argen Schwätzer.
Das Versprechen in Betreff des zweiten Sonnwendkuchens wurde rückgängig gemacht; Schwesterlein erklärte, die Zusage sei nichts als Notwehr gewesen.
Und die Gläubigkeit meines Publikums hatte ich mir verdorben ganz und gar, und wenn es in Zukunft an irgendeinem Erzählten seinen Zweifel ausdrücken wollte, so rief es einstimmig: »Aha, das ist wieder ein blutiges Knie!«
Peter und Paul (29. Juni)
Als ich auf den Taschenfeitel wartete
A ls ich den Kommunionsunterricht hinter mich gebracht hatte, gab es für mich eine herrliche Zeit. Nun war ich nicht mehr das unbedeutende Waldbauernbüblein, sondern vielmehr der junge Gottesgelehrte, der dem Pfarrer hatte sagen können, was christkatholisch glauben heißt, was zur Seligkeit notwendig ist, worin die christliche Gerechtigkeit besteht und was der heilige Paulus über die Ehe gesagt hat. Die Bauern, in deren Gegenwart solche Fragen beantwortet worden waren, haben sich nur darüber gewundert, dass der Pfarrer mich nicht auf der Stelle zum Priester geweiht; vielleicht, meinte der Hösel-Hans, weiß er ihm zu viel, der Peterl, sodass er gleich zum Papst gewählt werden müsste, und dazu wäre der Bub doch um etliches zu jung.
Zehn Jahre war ich alt. Um diese Zeit hat der Mensch noch eine Menge Vettern. Einer von diesen – der Vetter Jakob wird’s gewesen sein – tuschelte mir ins Ohr: »Wart, Peterl, bis dein Namenstag kommt, kriegst was von mir – was Schönes! Extra was, weil du’s so brav hast gemacht, allen Verwandten eine Ehr’! Einen Taschenfeitel, wenn du magst!« – Ja, Vetter Jakob, den mag ich!, jubelte es in mir auf und von der Stunde an begann ich mich unbändig zu freuen auf den Taschenfeitel. Wenn man so einen hat, da kann man nachher was! Man kann Peitschenstecken abschneiden, man kann aus Kiefernrinden Rössel schnitzen, man kann aus Spänen Kreuzeln machen und sie ans Haustor heften, man kann Pfeil und Bogen herrichten, man kann auf dem Felde die Rüben ausziehen und sie abschälen und hübsch stückweise in den Mund stecken, man kann den Forellen die Köpfe wegschneiden, bevor man sie in die Bratglut wirft, kurz, man kann alles Mögliche tun, wenn man einen Taschenfeitel hat. Jede Nacht träumte ich vom Taschenfeitel mit dem gedrechselten gelben Heft, bis der Namenstag endlich herangekommen war. Am Vorabende, als sie mir mit Kübeln, Pfannen, Topfdeckeln und Feuerzangen die übliche Namenstagsmusik gemacht hatten, kehrte ich mich nicht viel drum, mein ganzes Wesen erfüllte der Gedanke: »Morgen hast du deinen Taschenfeitel.«
Am nächsten Tag in der Früh, als die Wände des Hauses im Morgenrote leuchteten, strich ich schon draußen auf dem taufrischen Anger herum und guckte zwischen Bäumen und Sträuchern hin
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