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Als ich unsichtbar war

Als ich unsichtbar war

Titel: Als ich unsichtbar war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pistorius Martin
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richtig stolz auf dich!«, sagt er.
    Meine Eltern sind glücklich. Sie haben begriffen, dass die Zeit gekommen ist, mich loszulassen. Und ich bin unendlich erleichtert.

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    60
Auf, auf und davon
    D raußen ist es noch dunkel, und ich warte auf Joanna, damit sie mich anziehen kann, aber bald wird die Sonne aufgehen. Ich habe ihr gesagt, dass wir etwas Besonderes machen werden, doch sie weiß nicht, was es ist. Ich habe ihr nur geraten, leichte Baumwollsachen anzuziehen, da es schnell heiß werden könnte. Es ist Dezember, und tagsüber haben wir oft eine Affenhitze. Joanna ist gerade angekommen, um ihren Weihnachtsurlaub zu machen, und wir verbringen ein paar gemeinsame Tage auf einer Farm im Busch. Vier Monate ist es her, dass wir uns das letzte Mal gesehen haben, und ich weiß, sie ist genauso dankbar wie ich, dass wir uns nie mehr trennen müssen. Am zweiten Weihnachtsfeiertag – nur sechs Tage, bevor sich unser erster Kontakt jährt – fliegen wir nach England, um unser neues Leben zu beginnen.
    Der Ring, den ich für Joanna habe anfertigen lassen, steckt in meiner Tasche und ist mit einem Baumwollfaden an meinem Hosenbund befestigt, sodass er nicht verloren gehen kann, falls meine zittrigen Hände ihn fallen lassen sollten, wenn ich sie bitte, mich zu heiraten. Ich kann kaum glauben, dass ich hier sitze, um ihr bald einen Antrag zu machen. Ist es wirklich wahr? Kann sich mein Leben derart verändert haben, oder ist es nur ein Traum wie jene, in denen ich mich wochenlang zu verlieren pflegte, als ich noch ein Geisterjunge war? Ich wage es nicht, mich zu kneifen, denn dann könnte ich ja aufwachen, und das möchte ich auf gar keinen Fall.
    Joanna ist vor drei Tagen angekommen, und nachdem sie meine Eltern kennengelernt hatte, nahm sie mich mit zu der Farm ihrer Mutter, auf der diese lebt. Über mehrere Monate hinweg hatte ich Joannas Mutter bereits Briefe geschickt, da ich wusste, dass ich sie eines Tages um die Hand ihrer Tochter bitten würde, und jetzt hatte ich ihr das abschließende Schreiben überreicht.
    »Ich möchte Joanna bitten, mich zu heiraten«, stand darin. »Doch vorher bitte ich Sie darum, uns Ihren Segen zu geben.«
    Unendlich lange sagte ihre Mutter nichts, dann lächelte sie mich an. Sie ist eine großmütige Frau, die wahre Liebe erkennt, wenn sie ihrer ansichtig wird – selbst wenn sie in einer Form kommt, die manche Leute nicht akzeptieren.
    Ich blicke hoch und lächle, als Joanna den Raum betritt.
    »Ich bin fertig«, sagt sie und kommt auf mich zu.
    Im Halbdunkel zeichnet sie sich als Silhouette gegen die weiße Wand ab. Mein Herzschlag setzt für einen Moment aus. Sie ist so wunderschön.
    Wir begeben uns nach draußen an die kalte Luft und steigen in den Wagen, den wir gemietet haben. Ich sage Joanna, wohin sie fahren muss, doch als wir tiefer in den Busch kommen, fragt sie nicht mehr nach dem Weg. Weiß sie, was ich vorhabe, oder glaubt sie, dies sei nur wieder eine dieser alltäglichen Überraschungen, die ich ihr häufig biete?
    Als wir über eine staubige Piste auf eine Lichtung in der Savanne zufahren, erkenne ich vor uns auf der Erde liegend die schlappe Hülle eines Heißluftballons. Joanna hatte sich immer gewünscht, sich die Erde von oben anzuschauen, und sie lacht, als ihr klar wird, was sie erwartet.
    »Ich fasse es nicht, was du auf die Beine gestellt hast!«, sagt sie, bevor sie mir einen Kuss gibt.
    Wir steigen aus. Der zuständige Ballonfahrer für unsere Fahrt wartet im grauen Morgenlicht, und schon bald beginnen die orangefarbenen Brenner die Dunkelheit zu erhellen, während am Horizont die ersten Streifen des morgendlichen Lichts erscheinen. Die Sonne geht auf, und bald werden wir sie aus der Höhe betrachten können. Joanna und ich sehen zu, wie der Ballon langsam aufgeblasen wird und sich von der Erde erhebt. Dann ist es so weit, und wir können in die Gondel einsteigen. Ich sitze auf einem hohen Stuhl, sodass ich mich auf einer Höhe mit Joanna befinde, und halte mich an einer Seite des Korbs fest, während sie nach mir einsteigt.
    Der Ballonfahrer lächelt, um uns wissen zu lassen, dass wir startklar sind, und die Gondel löst sich langsam von der Erde. Ich beobachte Joannas Gesicht, als wir in die Höhe schweben. Sie lacht und starrt auf den Busch, der unter uns verschwindet. Wir steigen höher hinauf, und ich schaue zum Horizont. Es wird bereits heller. Der Himmel ist rosafarben, und die gedeckten Farben des Buschs unter uns nehmen erste Tupfer von Grün und

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