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Als meine Mutter ihre Kueche nicht mehr fand

Als meine Mutter ihre Kueche nicht mehr fand

Titel: Als meine Mutter ihre Kueche nicht mehr fand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joern Klare
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einen Helm.
    Und ich habe einen Termin bei Hans Förstl. Ich reise nach München, suche und finde erst die Klinik, dann auch sein Büro und warte. Nach einer Weile öffnet sich eine Tür, und Förstl, ein eher kleiner Mann mit kurzen schwarzen Haaren und akkurat gestutztem Vollbart, sagt mir, dass es ein dringendes Problem gäbe und er leider nur »32 Minuten« für mich habe. Er sagt das mit einem feinen Lächeln, ganz ruhig und fast zart, so dass es mir nicht gelingt, sauer zu werden.
    Der Vorteil bei einem 32-minütigen Gespräch zum Thema Demenz ist, dass man nicht lange herumreden kann. Man darf und muss gleich auf den Punkt beziehungsweise die Punkte kommen.
    – Ich hab jetzt einen Fahrradhelm und ich befolge viele Ihrer Ratschläge. Wenn jemand das nicht tut und irgendwann dement wird, kann man dann nicht sagen: »selber schuld«?
    – Nein, keiner ist »schuld« daran. Aber die Eigenverantwortung ist ganz, ganz wichtig. Wir dürfen nicht einfach anderen aufbürden, was wir möglicherweise selbst mit verschuldet haben.
    Schuld oder Verantwortung? Noch so eine Gratwanderung, denke ich.
    – Ich sehe bei der Demenz und anderen Gebrechen des hohen Lebensalters die Notwendigkeit und die Chance, dass sich Menschen einer Generation wieder miteinander solidarisieren. Die nachwachsenden Generationen sind einfach zu schmächtig. Die können das nicht tragen. Das müssen die alternden Menschen selbst schultern.
    Förstl könnte sich vorstellen, die Auszahlung der Rente an ein Mindestmaß an »aktiver Solidarität« zu knüpfen. Nur wer eine gewisse Zahl von Pflichtstunden, etwa bei der Unterstützung eines Nachbarn mit Demenz, leistet, bekommt sein Geld. So wäre es für die Betroffenen leichter, die Unterstützung anzunehmen.
    – Für viele Menschen ist es extrem schlimm, fast schon das Ekelhafteste was es gibt, von anderen Hilfe anzunehmen, ohne etwas zurückgeben zu können.
    Er sagt das ganz ruhig.
    – Haben Sie Angst, dement zu werden?
    – Jein. Wenn wir beide hier mehr Zeit hätten, würde ich eine Zeit lang schweigen, aber das geht ja nicht. Es ist keine attraktive Vorstellung, dement zu werden, aber ich sehe auch viele Patienten, bei denen es nicht so schlimm ist. Bei vielen schrumpft das Leben auf einen warmen Kern zusammen, und das ist für die Betroffenen selbst oft nicht so belastend wie für die pflegenden Angehörigen.
    Die Betroffenen selbst halten sich, so Förstl, nicht allzu lang damit auf, dass sie bestimmte Fähigkeiten verloren haben. Viele entscheidende Grundbedürfnisse wie körperliches Wohlbefinden, Schmerzfreiheit, Wahrnehmung der Umgebung, Zuwendung können noch befriedigt werden. Und dafür lohnt es sich zu leben. Abgesehen davon, hat jeder Mensch auch ein Recht auf Gebrechlichkeit.
    – Wie hoch ist Ihrer Erfahrung nach der Prozentsatz der Menschen, denen es eigentlich »ganz gut« geht?
    Förstl zeigt ein kleines Lächeln:
    – Ich drehe die Frage einfach mal um und erinnere mich an alte Zahlen aus Übersichtsarbeiten zu der Frage: »Wie hoch ist der Anteil der depressiven Menschen?« Und diese Schätzungen schwankten bis vor einigen Jahren zwischen null und 87 Prozent.
    Das Lächeln wird breiter. Bei jeder Studie hängen die Ergebnisse auch von der Perspektive und der Stichprobe ab. Förstl erzählt von einem Neurologenkongress in Prag, auf dem japanische und bulgarische Forscher ihre Untersuchungsergebnisse zum Thema »Depression bei Parkinson« vorstellten.
    – Die bulgarischen Kollegen standen da mit so schwermütigen Gesichtern und verkündeten‚ dass fast alle Parkinson-Patienten eine schwere Depression oder sogar eine ganz schwere Depression haben. Und die Japaner waren so fröhliche Kerle in blauen Anzügen. Die mussten ständig lachen und verkündeten dann: Parkinson-Patienten sind gar nicht depressiv. Die sehen nur so aus!
    Förstl lehnt sich zurück. Die deprimierende Stimmung, die manche Demenzpatienten verbreiten, müsse nicht unbedingt einer Depression des Patienten entspringen.
    – Es vollzieht sich ein Wandel von Wahrnehmungen und Werten, und über weite Phasen ist der Patient mehr als nur halbwegs glücklich. Ruhig, scheinbar depressiv, aber eher langsam, empfindsam, eher passiv als aktiv, aber nicht schwer leidend.
    Bei den Aussagen, die ein Mensch mit Demenz über sich selbst trifft, sollte man, so Förstl, nicht zu lange rätseln.
    – Wie bei uns ist da vieles schablonenhaft. Wenn wir sagen »Mir geht es gut«, trifft es das ja auch nicht ganz. Mir tut

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