Als meine Mutter ihre Kueche nicht mehr fand
Karls Mutter im Haus. Da hatten wir zwei ganz schöne Zimmer. Aber eben nur zwei ganz schöne Zimmer und ein Klo im Keller, wie das halt bei Oma war. Und kein Badezimmer. Und ja, was nun? Und dann habe ich weiter bei Hoesch gearbeitet. Und er hat die Stelle gewechselt. Und da ging es aufwärts mit ihm. Der kam gut an. Die haben uns zur Hochzeit ein Frühstücksgeschirr geschenkt. Das weiß ich noch. Und das gefiel ihm da, und er fühlte sich wohl. Ja, und was nun? Da war dein Bruder unterwegs, und da saßen wir ohne Badezimmer.«
Mascha schreit wieder.
Meine Mutter klatscht nicht mehr
Ich leiste meiner Mutter Gesellschaft beim Frühstück. Sie legt sich eine Wurstscheibe auf ein Brötchen mit Marmelade. Ich lege sie wieder weg. Meine Mutter widerspricht:
– Ich kann das aber essen.
»Selbstbestimmung«, denke ich und lege die Wurst zurück auf das Marmeladenbrötchen. Sie beißt hinein und spuckt die Wurst aus. Das ist dann wohl »Selbsterfahrung«, allerdings wird sie die bald wieder vergessen haben. Später helfe ich ihr, das heißt, ich füttere sie. Ein Geduldsspiel, das mich an die Babyjahre meiner Tochter erinnert.
Nach dem Frühstück spielt sie mit einer kleinen Saftpfütze, die sie in einem großen Schwung über den Tisch verteilt.
– Mama, was machst du da?
Ohne mich anzuschauen, schiebt sie etwas Saft von der linken auf die rechte Tischhälfte.
– Ich will meine Kreativität ausleben.
Da keine irreparablen Schäden am Mobiliar zu befürchten sind … Warum nicht?
– Wie würdest du dich beschreiben?
– Abenteuerlich.
– Magst du Abenteuer?
– Wenn sie gut ausgehen.
Eine Pflegerin kommt herein, bringt frisch gewaschene Wäsche und erzählt von Ausflügen meiner Mutter in fremde Zimmer. Wenn sie »erwischt« werde, würde sie lächeln und fast ein wenig stolz aussehen. Ich lache, meine Mutter bleibt ernst.
– Wer war das?
Frage ich, nachdem die Pflegerin wieder gegangen ist.
– Eine Frau, die hier arbeitet.
– Und wie ist die so?
– Anhänglich, aber sehr nett.
Sie schaut eine Weile aus dem Fenster, nimmt mich plötzlich wahr, kuckt überrascht und lächelt.
– Woran denkst du?
– Wie man sich entgehen kann, wenn man älter ist.
– Wie würdest du gern älter werden?
– Dass man relativ selbstständig ist.
Es ist ein schöner Morgen, nicht nur wegen der Sonne draußen. Meine Mutter ist wach, wir können kommunizieren. Auch wenn ich nicht immer verstehe, was sie wie meint, es tut gut. Später kommt die Krankengymnastin. Meine Mutter scheint sich an die freundliche Frau zu erinnern, zumindest lächelt sie. Ihr physischer Allgemeinzustand habe sich verbessert, sagt die Krankengymnastin. Die Verkrampfungen hätten etwas nachgelassen. Die Tendenz, sich in die Embryohaltung zurückzuziehen, ist aber geblieben. Insgesamt verändert sich ihr Zustand in Wellen.
Professionell angeleitet, hebt, streckt und schwingt meine Mutter erst ihre Beine, dann die Arme im Kreis. Auf manche Aufforderungen reagiert sie erst im zweiten Anlauf oder mit Hilfestellung. Offensichtlich würde sie jetzt gern einfach einschlafen, macht aber höflich und freundlich weiterhin das, was die Krankengymnastin vorschlägt. Meine Mutter ging auch früher gern zum Turnen. Am Ende gelingt es ihr nicht mehr, in die Hände zu klatschen. Das erschreckt mich. Vielleicht fehlt ihr auch nur die Kraft, denke ich, hoffe ich.
Am nächsten Tag begrüßt sie mich im Aufenthaltsraum mit:
– Na, du alter Mann!
Recht hat sie, und ich verzichte darauf, mich zu revanchieren.
– Bist du zufrieden?
– Ja.
Sie sieht verändert aus, positiv. Ich kann es mir nicht ganz erklären, bis mir eine Pflegerin erzählt, dass am Vormittag die Hausfriseurin dagewesen ist. Meine Mutter habe danach sehr stolz ausgesehen. Das tut sie immer noch. Sie will meine Hand halten. Ihr Wunsch, schon allein, dass sie überhaupt einen hat, freut mich.
Ich helfe ihr aufzustehen. Nein, ich helfe ihr nicht. Ich ziehe sie einfach vorsichtig hoch, nehme sie am Arm, führe sie zu ihrem Rollator. Sie lässt es geschehen. Wir gehen in ihr Zimmer, setzen uns in die beiden Ledersessel und betrachten die wechselnden Familienfotos im digitalen Bilderrahmen. Meine Mutter erkennt niemanden. Nicht Mascha, nicht mich, nicht sich selbst – niemanden.
Dann will sie sich für fünfzehn Minuten aufs Bett legen. Ich helfe ihr. Auf dem Tisch steht eine Grußkarte alter Freunde, die sie kaum noch besuchen. Ein schwieriges Thema. Von zumindest
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