Als meine Mutter ihre Kueche nicht mehr fand
in den Konflikt, den man als »Lifeboat-Szenario« bezeichnet. Sagen wir, in einem Rettungsboot sitzen fünf Menschen, die sind klarerweise Träger der Menschenwürde. Die Zeit wird eng, Sie können nur zwei der fünf retten. Was hilft es Ihnen, jetzt zu sagen, dass sie alle denselben Status haben?
– Gerechtigkeit. Jeder hätte die gleichen Chancen.
Ich gehe dabei davon aus, dass jeder Mensch das gleiche Recht auf Leben hat. Weyma Lübbe, eine hoch angesehene Kollegin Quantes aus Regensburg, sagte dazu: »Wenn man mit den Rechtsansprüchen in eine Knappheitslage gerät, in der sie nicht alle erfüllt werden können, dann muss man die Ansprüche eben auf gerechte Weise umdefinieren.« Mit anderen Worten: Wenn es eng oder knapp wird, müssen wir zusammenrücken und teilen, aber nicht die Schwachen über Bord werfen. Und wenn es wie in so einem konstruierten Rettungsbootszenario gar nicht mehr anders geht, muss jedem die gleiche Chance auf sein Überleben eingeräumt werden.
– Sie können aber trotzdem nur zwei retten. Die Knappheit zwingt Sie zu einer Entscheidung. Dann können Sie sagen, sie sind aber alle gleichberechtigt, also muss ich jetzt würfeln. Okay?
– Ja.
– Und jetzt sage ich Ihnen, in diesem Boot, da liegen ein Reagenzglas mit einer befruchteten Eizelle, ein irreversibel Komatöser, ein normal entwickeltes 17-jähriges Mädchen, ein gesunder Junge im selben Alter und ein 88-Jähriger.
– Kann der 88-Jährige dazu noch dement sein?
Wenn schon, denn schon.
– Von mir aus, ja. Aber Sie können nur zwei retten. Sagen Sie mir, wen Sie retten würden. Rein intuitiv.
Fangfrage, klar. Und ich bin überrascht, dass ein Philosoph an meine sicher nicht immer reflektierte Intuition appelliert.
– Schwierig. Ähm … Das Reagenzglas und den Komatösen würde ich eventuell an das Ende der Liste setzen.
– Gut.
– Die anderen nicht, glaube ich.
Ganz wohl ist mir dabei nicht. Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich dem Komapatienten die Rote Karte gezeigt habe. Auch um den Inhalt des Reagenzglases tut es mir leid. Dass ich dem Alten mit Demenz die gleichen Rechte und in diesem Fall Loschancen zubillige wie den beiden Jungen, überzeugt Quante allerdings nicht.
– Diese Überlegungen helfen Ihnen jetzt nicht mehr weiter. Sie können nur zwei retten, nicht alle fünf. Was ich sagen will: Unter solchen Knappheitsbedingungen kommen Sie um diese harten Entscheidungen gar nicht herum. Wenn Sie in dieser Situation überall das Etikett »Menschenwürde« draufkleben wollen, können Sie das natürlich tun. Dann müssen Sie aber trotzdem noch entscheiden, wer gerettet werden soll. Oder Sie sagen: Lotterie. Das wäre konsequent. Aber Sie sagen ja schon, dass Sie die befruchtete Eizelle nicht retten. Und den Wachkomapatienten auch nicht, so leid es Ihnen tut. Verstehen Sie?
– Ja, ich versteh das.
– Wir müssen uns doch überlegen, mit welchen ethischen Kriterien wir das rechtfertigen können, anstatt einfach nur eine Münze zu werfen, egal welche Folgen das hat. Es sei denn, Sie stecken alles Geld der Welt in die Gesundheitsversorgung und verhindern die Knappheit, dann haben Sie nicht dieses Problem, müssen dafür aber vermutlich massiv in die Freiheit aller Menschen eingreifen, um die nötigen Mittel bereitstellen zu können.
Da ich aber nicht alles Geld der Welt in die Gesundheitsversorgung stecken kann, habe ich ein Problem. Ich frage weiter.
– Wenn Sie jetzt die beiden jungen Menschen und den alten Herrn mit Demenz haben, dann würden Sie den dreien nicht die gleichen Loschancen einräumen, oder?
– Nein, würde ich nicht. Ich glaube auch, dass wir uns keinen Gefallen tun, wenn wir mit dem Begriff »Menschenwürde« auf eine Weise operieren, die keiner rationalenPrüfung standhält und diese schmerzlichen Fragen einfach nur verschleiert. Ich kann gut nachvollziehen, dass man diese Rhetorik der Menschenwürde behalten möchte, damit ja niemand auf die Idee kommt, da etwas infrage zu stellen. Aber dann erhalten Sie ein Menschenwürde-Prinzip, das Ihnen nicht weiterhilft.
– Aber wenn Sie dem 88-jährigen Dementen nicht ganz dieselben Chancen einräumen wie den beiden jungen Menschen, die in der Blüte ihres Lebens stehen, nach welchen Kriterien werten Sie da das eine auf und das andere ab?
Quante sagt, dass er darauf zurzeit noch keine Antwort hat und dass er in den nächsten Jahren eine philosophisch überzeugende Konzeption der Verteilungsgerechtigkeit ausarbeiten
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