Als meine Mutter ihre Kueche nicht mehr fand
wolle. Trotzdem möchte ich noch etwas klarstellen:
– Wenn Sie mit einem abgestuften Würdebegriff argumentieren, kann das im Extremfall auch das Lebensrecht infrage stellen, oder?
– Das stimmt, gilt aber beispielsweise in Notwehrsituationen auch jetzt schon. Was ich in diesem Kontext ganz wichtig finde, ist das Prinzip der Solidarität. Solidarität mit dem fragilen, störanfälligen menschlichen Leben. Das finde ich viel zentraler. Ich will, dass mit Menschen in Altenheimen vernünftig umgegangen wird – aus Solidarität. Das ist für mich ein ganz starkes Motiv.
Quante weicht aus, weiß er aber selbst.
– Ich umgehe die Alternativen, in die Sie mich treiben wollen. Das ist für Sie wohl unbefriedigend.
– Ein bisschen schon, ja.
– Bei solchen Entscheidungen müssen Sie abwägen und vergleichen. Das liegt im Wesen des Verteilens. Da kommen Sie nicht drum herum. Und da hilft Ihnen die Rede von der Einzigartigkeit eines jeden Individuums nicht weiter.
– Weiß ich noch nicht.
– Dann müssen Sie sagen, dass Schluss mit der Knappheit sein muss.
– Kann ich jetzt auch nicht sagen.
Obwohl sich manche Knappheit natürlich vermeiden oder mindern ließe, wenn die Ressourcen anders verteilt würden. Die Frage ist wohl, mit wie viel Druck oder Zwang das geschieht. Für Quante scheint das der Knackpunkt zu sein.
– Denn zur Beseitigung der Knappheit müssten Sie die Menschenrechte und Menschenwürde der anderen einschränken, weil sie die Ressourcen radikal umverteilen und in die Lebensentwürfe vieler Menschen massiv eingreifen müssten. Diese Rechnung geht deshalb leider nicht auf.
Das Gespräch wirkt noch lange nach. Quante will Menschen mit Demenz nicht als vollwertige Träger der Menschenwürde anerkennen. Damit steht er sicher nicht allein. Ihm ist auch bewusst, dass er im Zweifelsfall ihren Anspruch auf würdevolle Behandlung infrage stellt. Wenn es in den anstehenden Verteilungsdebatten ums Geld geht, ist das eine volkswirtschaftlich attraktive Position, die für die Betroffenen zu einem ernsten Problem werden kann. Quante, immerhin amtierender Präsident der Deutschen Gesellschaft für Philosophie, öffnet einer Diskussion die Tür, die ich als Sohn einer Mutter mit Demenz lieber geschlossen sehen würde. Deswegen ist es mir auch kaum möglich, »unbefangen« über diese Fragen nachzudenken. Allerdings bin ich mir alles andere als sicher, ob Unbefangenheit in diesen Fragen überhaupt mein Ziel sein sollte.
Natürlich ist mir die philosophische Perspektive, die Thomas Fuchs auf die Frage nach der Würde eines Menschen mit Demenz einleuchtend erläutert hat, näher. Doch diese Position ist, selbst wenn ich es mir anders wünschen würde, offensichtlich alles andere als unumstritten.
Erinnerungen XIII
»Wie kam es zu der Entscheidung zu heiraten?«
»Och … Das war eigentlich selbstverständlich. So nach einer Zeit war das einfach so. Wir haben immer gesagt: ›Ach, wenn wir mal Kinder haben oder wenn wir mal heiraten …‹«
Mascha fängt an zu quäken.
»Och, Mäusken, bist du nicht im Mittelpunkt, bist du gar nicht im Mittelpunkt, was … Och … Och, na soll sie heulen oder soll sie lachen? Willst du zu Oma? Komm mal hierhin. Da lacht sie doch schon. Ach ja, ach ja, mein kleines Mäuselchen …«
Mascha hört auf zu quäken.
»Eigentlich haben wir alles selbst entscheiden müssen, weil wir für uns so alleine waren.
Dann haben wir ja erst mal ’ne Garage gebaut, bevor wir das Auto kauften. Das Auto hatten wir aber schon bestellt. Und als wir unser Haus bauten, musste die Garage wieder abgerissen werden. Da war dein Bruder drei Jahre und ganz entsetzt, als die dann umfiel.«
Mascha jammert.
»Och, hast du noch ein Bäuerchen gemacht? Jo. Und ist die Buchse auch voll? Ne, das hast du doch schon.«
Mascha hört wieder auf zu jammern.
»Und so haben wir uns nach und nach hochgehangelt. Als wir heirateten, war ich dreiundzwanzig, da kannten wir uns schon sechs Jahre. Ach ja, verlobt haben wir uns auch. Das haben wir zu Hause bei uns im Wohnzimmer gefeiert, aber auch ziemlich einfach. Aber da war die Familie eingeladen, und da gab es Geschenke. Und ich weiß noch, Oma Bertha hat uns fünfzig Mark geschenkt. Das war umwerfend viel Geld. Die war großzügig.«
Mascha schreit.
»Ach, die ist ja müde, die kleine Schnuckeltriene. Die ist ja müde, die kleine Schnuckelsche. Haben wir denn nichts zu … Schau mal hier, das schöne, gute Tuch.«
Stille.
»Wir wohnten dann bei
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