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Als wäre es Liebe

Als wäre es Liebe

Titel: Als wäre es Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicol Ljubic
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Friedrich starb, war der Pfarrer ein letztes Mal bei ihm gewesen. »Aber Friedrich war im Sterben nicht allein«, sagte er am Telefon, »ein Engel war bei ihm, ein Engel im weißen Kittel einer Krankenschwester. Sie saß an seinem Bett und hielt seine Hand. Ich hoffe sehr, dass er noch nicht vollends in Dunkelheit lebte und das Gesicht dieses Engels erkennen konnte.«
    Am Ende war es eine Fremde, die ihm die Hand gehalten hatte. Vielleicht war das, auch wenn ihr der Gedanke schwerfällt, nur konsequent in der Schicksalhaftigkeit, dass eine Frau ihn aus diesem Leben verabschiedet hat, die ihm so fremd war wie die Frauen, an denen er sich vergangen hat. Wenn seine Dunkelheit noch nicht vollends war, dann war es ihr Gesicht, das er als Letztes vor Augen hatte. Sie fragt sich, wie sie wohl ausgesehen hat. War sie jung oder alt? Wusste sie, wessen Hand sie da hielt? Für die Krankenschwester war es nur eine Hand, eine Hand von so vielen, die sie in all den Jahren gehalten hatte. Vielleicht lebte er auch schon längst in Dunkelheit und konnte nicht erkennen, wer da an seinem Bett saß, und stellte sich in Wahrheit ihr Gesicht vor.
    Friedrich hatte beim letzten Besuch des Pfarrers im Gefängniskrankenhaus gefragt, ob er ihnen wiederbegegnen würde. Der Pfarrer hatte nicht verstanden. »Wem willst du wiederbegegnen?«, fragte er.
    »Den Frauen«, sagte Friedrich, »den Frauen, für die ich jeden Tag gebetet habe.«
    »Bestimmt«, sagte der Pfarrer, »und ich bin mir sicher, dass sie dir freundlich begegnen werden.«
    Die Vorstellung, er säße nicht im Himmel, sondern hier und jetzt neben ihr; würde sie wieder nach seiner Hand greifen? Sie weiß es nicht. Sie hat niemandem davon erzählt, wie es sich damals angefühlt hat für sie, nicht mal ihm. An jenem Vormittag in der Kirche war sie ihm so nahe wie danach nie wieder. Sie hatte sich geborgen gefühlt; wie eine Höhle, in die sie hineingekrochen war. Es war seine rechte Hand, unter der sie Schutz gesucht hatte, später wünschte sie, sie hätte sagen können, seine Finger seien kalt gewesen, aber er war kein Mensch mit kalten Fingern. Aber das waren Gedanken, die sie sich erst im Nachhinein gemacht hatte. An jenem Vormittag in der Kirche hatte sie an all das noch nicht gedacht. Sie stellt sich vor, er könnte seine Hand noch mal auf die Lehne der Bank legen. Ein letztes Mal. Sie würde gern wissen, ob ihr seine Hand anders erschiene.
    Sie bedankt sich beim Pastor. Er begleitet sie ein Stück, und dann erzählt sie ihm doch, mit wem sie hier war, in seiner Kirche. Er scheint erstaunt, nicht erschrocken, vielleicht ist er erstaunt darüber, dass der Mörder sich ausgerechnet seine kleine, unscheinbare Kirche ausgesucht hatte. Er fragt aber nicht, warum er in die Kirche wollte. Er bringt sie zum Auto. Dann stehen sie nebeneinander, der Wind treibt die Blätter zwischen ihren Füßen hindurch, sie stehen da, als hätten sie sich etwas zu sagen. Er sei froh, sagt er, wenn noch jemand in die Kirche komme. Die Zeiten hätten sich verändert. Und weil sie nichts sagt, reicht er ihr die Hand. Er sieht ihr für einen Moment in die Augen, und sie glaubt, seine Frage zu erraten. Sie waren ihm nahe, oder? Haben Sie ihn geliebt? Vielleicht verstünde er es sogar. Ist es nicht so, dass Gott jeden liebt? Und ein Pastor keine Seele verlorengeben sollte? Aber er fragt nicht. Er mischt sich nicht ein. »Gute Fahrt«, sagt er. Und aus dem Auto heraus sieht sie, wie er den Weg zurückgeht, ohne sich umzusehen.
    Sie findet nicht gleich die richtige Straße, verfährt sich in diesem Wirrwarr aus Sträßchen, kommt zweimal an derselben Bushaltestelle vorbei, mit denselben wartenden Menschen. Sie steht vor einer Ampel, als ihr Telefon klingelt. Sie hat dem Pastor ihre Nummer gegeben, und er hat seine Gemeindesekretärin gefragt und sagt, sie habe sich erinnert an den Tag, als sie in der Kirche gewesen seien. Der Mörder sei da gewesen, habe sie gesagt, und dass sie sich nicht in die Kirche getraut habe, aber als sie gegangen seien, habe sie aus dem Fenster des Pfarrhauses geschaut, weil sie ihn sehen wollte. Erst habe sie nicht gewusst, wer von den drei Männern der Mörder sei, aber dann sei sie sich sicher und überrascht gewesen, dass er so anders ausgesehen habe, als sie ihn sich vorgestellt habe. Er habe einen freundlichen Eindruck gemacht, und seine Hände seien ihr aufgefallen, als er sie dem Pastor bei der Verabschiedung auf die Schultern gelegt habe. Sie seien so schmal gewesen,

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