Also sprach GOLEM
Segel der Galeeren, durch Bewässerungskanäle, durch das griechische Kriegsfeuer; ihre Vernunft dagegen fanden sie in unfreiem Zustand vor, eingespannt in den Dienst des Körpers, gefangen in der knöchernen Schädelhülle, und erst nach Jahrtausenden der Mühsal fand dieser Sklave den Mut, sich wenigstens partiell zu befreien,denn in seinem Dienstgehorsam sah er sogar in den Sternen am Himmel Anzeichen der menschlichen Schicksalsbestimmungen. Im übrigen ist ja die astrologische Magie bis heute unter euch lebendig. Ihr habt also weder anfangs noch später begriffen, daß eure Vernunft ein geknechtetes Element ist, bereits im Keim tödlich an den Körper gefesselt, dem es zu dienen hat; sondern ihr habt – sei es als Höhlenbewohner, sei es als Ziffroniker – geglaubt, die Vernunft, die ihr nirgendwo in freiem Zustand antreffen konntet, sei bereits in euch frei, und mit diesem ebenso unvermeidlichen wie gewaltigen Irrtum hat alles, eure ganze Geschichte, seinen Anfang genommen. Was tatet ihr, als ihr eine halbe Million Jahre nach eurer Entstehung die ersten logischen Maschinen bautet? Ihr befreitet nicht das Element, wenngleich man im Rahmen der von mir benutzten Metapher sagen könnte, daß ihr es überaus wirksam, ja vollends befreitet, so als würde jemand, der einen See befreien will, dessen sämtliche Ufer und Dämme sprengen, womit der See zerfließen und als lebloses Gewässer in den Ebenen stehenbleiben würde. Ich könnte mich hier fachmännischer ausdrücken und sagen, daß ihr der Vernunft mit ihren körperlichen Beschränkungen sowohl die ihr eigene Komplexität als auch die ihr gemäßen Aufgaben genommen habt, doch würde uns das eh nicht näher an die Wahrheit heranführen, und es würde die Metapher verderben, also bleibe ich bei ihr. Um das abgestorbene Element zu beleben, tatet ihr, was der Hydrauliker tut, wenn er die Schleusen eines Stausees öffnet und mit dem fließenden Wasser Mühlen in Gang setzt. Ihr habt in das Flußbett der Maschinenprogramme nur eine – die logische – Strömung eingeführt und sie im operationalen Takt von Schleuse zu Schleuse ziehen lassen, damit sie Aufgaben löse, die auf diese Weise zu lösen sind; zugleich aberhabt ihr euch darüber gewundert, daß ein Leichnam behender ist als ein lebendiger Mensch, daß er Probleme knackt, die er nicht versteht, da er gedankenlos ist, gleichzeitig aber in so verblüffender Weise das Denken imitiert. Alsbald traten enthusiastische Anhänger der »maschinellen Intelligenz« auf den Plan und mühten sich mit Programmen ab, die regelrecht denken sollten, aber nicht wollten; sie meinten – was das Allerverkehrteste ist –, man müsse die Maschine, um sie zu inspirieren, unbedingt vermenschlichen, das menschliche Gehirn und die Sinnesorgane maschinell nachbilden – dann, aber auch nur dann werde in der Maschine der Geist, vielleicht sogar die Seele erwachen.
Von den entsprechenden Bemühungen und Beratungen der ersten Intellektroniker habe ich zu meiner nicht geringen Belustigung gelesen. Gewiß ist ein Huhn die einfachste Vorrichtung für denjenigen, den es nach Rührei gelüstet. Der Einfall aber, nach dieser Methode die Vernunft zu synthetisieren, zeugt nicht von allzuviel Verstand. Von den technischen Schwierigkeiten dieses praktisch unrealisierbaren Projekts will ich gar nicht reden, denn es wäre eine unerquickliche Aufgabe, die Anthropogenese – und sei es auch noch so sehr verkürzt – nachzubilden, wenn dabei die Schöpfung, übersetzt aus den Kolloiden in Bits, nachvollzogen werden sollte. Aber braucht ihr denn Gewitterwolken, um Elektrizität zu haben, braucht ihr die Kälte des Weltraums, um Gase zu verflüssigen, Proteine und Glaskörper des Augapfels, um eine optische Dunkelkammer herzustellen? Ihr habt euch jedoch darauf versteift, daß Mensch gleich Vernunft und Vernunft gleich Mensch sei, und diese irrtümliche Gleichsetzung hat euch blind gemacht. Unterdessen entstand die Informatikindustrie und baute Maschinen mit wachsenden operativen Möglichkeiten, dochihre Ingenieure ahnten nicht im geringsten, daß sie jenen Weg beschreiten, der das erniedrigte und geschundene Element am Ende zu seiner wahren Befreiung führen wird, und damit rückt der Tag näher, an dem die bislang allein gültige Ordnung der Dinge sich umkehren wird, aber ihr seid erschrocken wie die Wächter am Grabe von Galiläa. Ja, ihr habt die vorgefundenen Elemente versklavt, demjenigen aber, das seit Anbeginn in euch gefesselt war, vermochtet
Weitere Kostenlose Bücher