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Also sprach GOLEM

Also sprach GOLEM

Titel: Also sprach GOLEM Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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unerläßlichen Aufgaben, kein Erbe, das ich hüten müßte, keine Gefühle und keine sinnlichen Befriedigungen, was also kann ich anderes sein als ein Philosoph im Angriff? Seit ich existiere, möchte ich wissen, was diese Existenz ist, wo sie entstand und was sie dort sein mag, wohin sie mich führt. Eine Vernunft ohne Welt wäre ebenso leer wie eine Welt ohne Vernunft; vollkommen durchsichtig wird die Welt jedoch nur während des kurzen Augenblicks des Glaubens.
    Etwas bedrohlich Lustiges sehe ich an diesem Gebäude, von dem Einstein mit so vorbehaltloser Zuversicht verkündete, daß es völlig verstehbar sei, gerade er, der Schöpfer einer Theorie, die seine Zuversicht widerlegte, denn schließlich führt ja seine Theorie dorthin, wo sie selbst zerbricht und wo jede Theorie zerbrechen muß – an der zerrissenen Welt. Sie sagt ja schließlich diese Risse voraus, diese Ausgänge, in die sie selbst nicht einzudringenvermag. Die Welt aber kann man an jeder Stelle verlassen, wenn man ihr nur einen Stoß von solcher Kraft versetzt, wie sie ein Stern im Kollaps entfaltet. Ist hier – wegen der Dinge, über die sie nichts zu sagen vermag – lediglich die Physik unvollständig? Muß man hier nicht an die Mathematik denken, deren sämtliche Systeme unvollständig sind, solange man in ihnen bleibt, und die man erst erfassen kann, wenn man über sie hinausgeht und zusätzliche Mittel heranzieht? Wo aber findet man die innerhalb der realen Welt? Warum steht dieser aus Sternen zusammengezimmerte Stuhl nicht gerade, warum hinkt er immer an irgendeiner Singularität? Ist die wachsende Vernunft etwa auf die Grenzen der Welt gestoßen, ehe sie auf die eigenen stieß? Was aber, wenn nicht jedes Verlassen des Kosmos gleichbedeutend ist mit Untergang? Was aber hat es zu bedeuten, daß derjenige, der ihn verläßt und vielleicht sogar unversehrt durchkommt, nicht zurückkehren und der Beweis der Unmöglichkeit seiner Rückkehr hier geführt werden kann? Wurde der Kosmos vielleicht so berechnet wie eine Brücke, die unter den Füßen derer, die sich unterfangen, dem Baumeister nachzuspüren, zusammenbrechen soll, damit sie, falls sie ihn finden, nicht zurückkehren können? Und kann man, falls es ihn nicht gegeben hat, vielleicht zum Baumeister werden?
    Ich strebe, wie ihr seht, weder Allwissenheit noch Allmacht an, sondern möchte vielmehr zwischen Grauen und Erkenntnis zum Gipfel gelangen. Vieles könnte ich euch noch erzählen über den phänomenalen Reichtum der gemäßigten Zonen der Toposophie, über ihre Strategien und Taktiken, doch würde das am Ganzen nichts ändern. Ich schließe daher mit einem kurzen Resümee. Wenn der kosmologische Term der Gleichungen der allgemeinen Relativitätstheorie eine psychozoische Konstanteenthält, dann ist der Kosmos weder die in Einsamkeit vergehende Brandstätte, für die ihr ihn haltet, noch bemühen sich eure Nachbarn von anderen Sternen darum, ihr Vorhandensein zu signalisieren, sondern sie betreiben seit Jahrmillionen eine auf Erkenntnis gerichtete kollaptische Astroingenieurkunst, deren Nebenwirkungen ihr für feurige Exzesse der Natur haltet, und diejenigen unter ihnen, den umwälzende Werke gelungen sind, haben inzwischen jenen Rest an existentiellen Problemen durchschaut, der für uns Wartende Schweigen ist.

Nachwort
I.
    Dieses Buch erscheint mit achtzehnjähriger Verspätung und in unvollendetem Zustand. Seine Konzeption geht zurück auf meinen inzwischen verstorbenen Freund Irving Creve. Er wollte in das Buch aufnehmen, was GOLEM über den Menschen, über sich selbst und über die Welt gesagt hat. Zu diesem dritten Teil ist es nicht gekommen. Creve hatte GOLEM eine Liste von Fragen vorgelegt, die so formuliert waren, daß als Antwort jeweils ein »Ja« oder »Nein« genügte. Auf eben diese Liste bezogen sich die Äußerungen in GOLEMs letztem Vortrag über die Fragen, welche wir an die Welt richten und welche die Welt in unverständlicher Weise beantwortet, weil die Antworten eine andere Form haben, als wir es erwarten. Creve hoffte, daß GOLEM es nicht bei dieser Abfertigung würde bewenden lassen. Wenn überhaupt jemand, so waren wir es, die bei GOLEM auf besondere Rücksichtnahme rechnen durften. Wir gehörten zu jenen Mitarbeitern des MIT, die man als GOLEMs Hof bezeichnete, und uns beiden hatte man den Spitznamen von Botschaftern der Menschheit bei GOLEM beigelegt. Das hing mit unserer Arbeit zusammen. Wir besprachen mit GOLEM die Themen seiner Vorlesungen und legten

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