Also sprach GOLEM
zusammen mit ihm die Listen der einzuladenden Gäste fest. Dazu bedurfte es wahrhaft diplomatischen Taktes. Die Berühmtheit großer Namen bedeutete ihm nichts. Nannten wir einen Namen, so griff er auf sein Gedächtnis oder – über das Bundesnetz – auf die Kongreßbibliothek zurück, und er brauchte nur wenige Sekunden, um die wissenschaftliche Leistung und damit auch die geistigen Fähigkeiten des Kandidateneinzuschätzen. Er nahm dann, weit entfernt von dem gekünstelten Barock öffentlicher Auftritte, kein Blatt vor den Mund. Wir schätzten diese in der Regel nachts stattfindenden Gespräche, sicherlich auch deshalb, weil sie, um Reibereien vorzubeugen, nicht aufgezeichnet wurden, was uns das Gefühl gab, mit GOLEM auf vertraulichem Fuße zu stehen. Von diesen Gesprächen sind nur Rudimente in meinen Notizen erhalten geblieben, die ich unverzüglich aus dem Gedächtnis aufzeichnete. Sie beschränkten sich nicht auf thematische und personelle Angelegenheiten. Creve versuchte, GOLEM einen Streit über das Wesen der Welt aufzuwingen. Ich komme darauf noch zurück. GOLEM war spöttisch, prägnant, boshaft, häufig unverständlich, denn er achtete damals nicht darauf, ob wir mit ihm Schritt halten konnten. Auch das hielten Creve und ich für eine Auszeichnung. Wir waren jung. Wir erlagen der Illusion, GOLEM lasse uns näher an sich heran als andere Menschen seiner Umgebung. Gewiß hätte keiner von uns es zugegeben, aber wir hielten uns für Auserwählte. Creve hat übrigens – im Gegensatz zu mir – keinen Hehl aus der Anhänglichkeit gemacht, die er für den Geist in der Maschine empfand. Ihr hat er Ausdruck gegeben in der Vorrede zur ersten Auflage von GOLEMs Vorlesungen, die ich diesem Buch vorangestellt habe. Zwischen jener Vorrede und dem Nachwort, das ich jetzt verfasse, liegen zwanzig Jahre.
Ob GOLEM von unseren Illusionen wußte? Ich denke schon, und ich glaube, daß sie ihm gleichgültig waren. Für ihn war der Intellekt seines Gesprächspartners alles, dessen Persönlichkeit nichts. Er verbarg das übrigens auch gar nicht, denn er bezeichnete die Persönlichkeit als unser Gebrechen. Wir bezogen diese Bemerkungen jedoch nicht auf uns, sondern auf die anderenMenschen, und GOLEM brachte uns nicht von unserer irrigen Meinung ab.
Wäre jemand anderes an unserer Stelle gewesen, er hätte sich vermutlich auch nicht der Aura GOLEMs entziehen können. Wir lebten in ihrem Bannkreis. Deshalb war sein plötzlicher Fortgang für uns so erschütternd. Einige Wochen hindurch lebten wir wie im Belagerungszustand, überhäuft von Telegrammen und Telefonanrufen, ausgefragt von Regierungskommissionen und Pressevertretern, und dabei ratlos in einem Maße, daß man verrückt werden konnte. Man stellte uns immer wieder dieselbe Frage, was mit GOLEM geschehen sei, der sich ja physisch nicht von der Stelle gerührt hatte, aber mit seiner ganzen riesigen Masse wie leblos dalag und schwieg. Von einem Tag auf den anderen wurden wir zu Konkursverwaltern, und da wir gegenüber der erstaunten Welt zahlungsunfähig waren, hatten wir nur die Wahl zwischen unseren eigenen Vermutungen oder dem Eingeständnis völliger Unwissenheit, die uns niemand glaubte. Wir fühlten uns betrogen und verraten. Heute sehe ich jene Zeit in einem anderen Licht. Nicht etwa, weil ich, was GOLEMs Fortgang betrifft, zu irgendeiner Gewißheit gelangt wäre. Natürlich habe ich mir darüber ein Urteil gebildet, doch habe ich es nicht öffentlich geäußert. Man weiß noch immer nicht, ob er auf unsichtbare Weise eine kosmische Wanderung angetreten hat oder ob er durch einen Fehltritt auf einer der oberen Sprossen jener toposophischen Leiter, von der er zuletzt sprach, zusammen mit HONEST ANNIE umgekommen ist. Wir wußten damals nicht, daß es seine letzte Vorlesung war. Wie immer in einer solchen Situation wurde eine Unmenge von naiven, sensationellen und bizarren Behauptungen aufgestellt. Es fanden sich Menschen, die in der kritischen Nacht über dem Gebäude einen schimmerndenNebel, ähnlich dem Polarlicht, gesehen hatten, der dann aufstieg und in den Wolken verschwand. Auch fehlte es nicht an solchen, die gesehen haben wollten, wie Lichtfahrzeuge auf dem Dach landeten. In der Presse hieß es, GOLEM habe Selbstmord begangen, und er suche die Menschen in ihren Träumen heim, doch hatten wir den Eindruck, einige Dummköpfe hätten sich speziell verschworen und bemühten sich nach Kräften, GOLEM in dem trüben Gemenge mythologischen Spülichts zu ersäufen,
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