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Alte Meister: Komödie (German Edition)

Alte Meister: Komödie (German Edition)

Titel: Alte Meister: Komödie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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sagte er. So ein ruhiger angenehmer Mensch wie Irrsigler und eine so laute Frau wie die Irrsigler und so laute Kinder wie die Irrsiglerkinder. Einmal hat mir Irrsigler den Vorschlag gemacht, ich möge doch mit seiner Familie aufs Land fahren, in die Umgebung. Auch das habe ich abgelehnt und ich winde mich seit Jahren, um einem solchen Umgebungsausflug mit der Irrsiglerfamilie zu entkommen. Stellen Sie sich vor, ich wandere mit der Irrsiglerfamilie durch die Umgebung, möglicherweise fangen die Irrsiglerkinder auch noch zu singen an. Das hielte ich nicht aus, daß die Irrsiglerkinder von mir verlangen, daß ich mit ihnen durch die Umgebungswälder ziehe, vorne die Irrsigler und hinten der Irrsigler und mit mir, womöglich händehaltend, die Irrsiglerkinder. Und die Irrsiglerfamilie verlangt dann möglicherweise auch noch von mir, daß ich mitsinge. Die einfachen Leute haben den Drang in die Natur, den Drang ins Freie, ich habe diesen Drang nie gehabt, so Reger. Nichts Grauenhafteres könnte mir passieren, als mit der Irrsiglerfamilie durch die Umgebung von Wien zu spazieren und dann auch noch einen Gasthausgarten aufzusuchen. Mich ekelte doch nur vor der Tatsache, daß die Irrsiglerfamilie gebackene Schnitzel ißt in meiner Gegenwart und sich mit Wein und Bier und Apfelsaft die Bäuche vollschlägt auf meine Kosten. Mit Irrsigler im Astoria , das ist, was auch mir Vergnügen macht, ich habe dazu keinerlei Verstellung notwendig, dreimal im Jahr mit Irrsigler im Astoria essen, ein Glas Wein dazu, sagte Reger, das geht, alles andere geht nicht. Der Prater ist absolut unmöglich, auch die Umgebung von Wien ist absolutunmöglich. Wenn Irrsigler nur einen Funken Musikalität in sich hätte, sagte Reger, so nähme ich ihn ab und zu in ein Konzert mit oder ich überließe ihm überhaupt meine Rezensentenkarten, aber Irrsigler hat für Musik nicht das geringste Gespür, er leidet Qualen, wenn er Musik hören muß. Jeder Andere setzte sich auch dann, wenn es ihm eine Qual ist, im Musikverein in die dritte oder vierte Reihe, um die Fünfte von Beethoven anzuhören, weil da wie nirgends sonst alles der Eitelkeit des Menschen entgegen kommt; nicht Irrsigler, er hat es immer abgelehnt, in den Musikverein zu gehen und immer mit der einfachen Feststellung: ich mag Musik nicht, Herr Reger , so Reger. Seit drei Jahren wartet die Irrsiglerfamilie, daß ich mit ihr in den Prater gehe, sagte Reger, und einmal sage ich, ich habe Kopfschmerzen und einmal, ich habe Halsschmerzen und einmal, ich bin tief in Arbeit und einmal, ich habe soviel Korrespondenz zu erledigen und jedesmal ist es mir widerwärtig, das sagen zu müssen. Irrsigler weiß sehr wohl, warum ich nicht mit seiner Familie in den Prater gehe, ich habe ihm nicht gesagt, warum, aber Irrsigler ist ja nicht dumm, sagte Reger. Im Astoria bestellt er immer den gleichen Tafelspitz, weil ich immer den gleichen Tafelspitz bestelle. Er wartet, bis ich mir einen Tafelspitz bestellt habe und bestellt sich dann auch einen Tafelspitz, so Reger. Aber während ich doch nur Mineralwasser trinke, trinkt Irrsigler ein Glas Wein zum Tafelspitz. Der Tafelspitz im Astoria ist nicht immer erster Klasse, aber ich esse ihn ganz einfach am liebsten im Astoria . Irrsigler ißt langsam, das ist das Außergewöhnliche an ihm. Ich selbst esse meinen Tafelspitz so langsam, daß ich denke, ich esse ihn noch langsamer als Irrsigler, aber Irrsigler ißt, auch wenn ich meinen Tafelspitz so langsam wie möglich esse, den seinigen noch viel langsamer. Ach Irrsigler, habe ich letztes Mal im Astoria zu ihm gesagt, ich verdanke Ihnen so vieles, wahrscheinlich alles, das hat er naturgemäß nicht verstanden. Nach dem Tod meiner Frau stand ich ja plötzlich allein da, ich hatte zwareinen Haufen Leute, aber doch keinen Menschen und Sie wollte ich ja auch nicht belästigen in meinem entsetzlichen Zustand. Ein halbes Jahr lang habe ich jeden Kontakt zu allen Leuten gemieden, schon weil ich ihren fürchterlichen Fragen auskommen wollte, die Leute fragen ja diese entsetzlichen Todesfallfragen immer ungeniert und bei jeder Gelegenheit; dem wollte ich entkommen, so hatte ich nur den Irrsigler. Und ich bin ja beinahe ein halbes Jahr nach dem Tod meiner Frau noch immer nicht ins Kunsthistorische Museum gegangen, erst seit einem halben Jahr gehe ich wieder hier herein, und die erste Zeit natürlich nicht jeden zweiten Tag wie gewohnt, sondern höchstens einmal in der Woche. Aber jetzt gehe ich schon wieder über ein halbes Jahr

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