Alte Meister: Komödie (German Edition)
Menschen interessiert im Grunde, was diese Leute sich zusammengeschrieben haben auf ihren literarischen Beutezügen, aber sie lesen es vor, sie treten auf und lesen esvor und machen einen Buckel vor jedem debilen Stadtrat und vor jedem stumpfsinnigen Gemeindevorstand und vor jedem germanistischen Maulaffen, so Reger. Sie lesen von Flensburg bis Bozen ihren Mist vor und lassen sich ohne geringste Skrupel auf schamlose Weise aushalten. Es gibt nichts Unerträglicheres für mich, als eine sogenannte Dichterlesung, sagte Reger, es ist abstoßend, sich hinzusetzen und den eigenen Mist vorzulesen, denn nichts anderes lesen ja alle diese Leute vor, als Mist. Wenn sie noch recht jung sind, geht es ja noch, sagte Reger, aber wenn sie älter sind und schon in die Fünfzig gehen und darüber, ist das nur ekelerregend. Aber gerade diese älteren Schreiber lesen ja, sagte Reger, überall vor und sie steigen auf jedes Podium und sie setzen sich an jeden Tisch, um ihren Gedichtemist vorzutragen, ihre stumpfsinnige senile Prosa, so Reger. Selbst wenn ihr Gebiß keines ihrer verlogenen Wörter mehr in der Mundhöhle halten kann, steigen sie auf das Podium gleich welchen Stadtsaales und lesen ihren scharlatanistischen Blödsinn, so Reger. Ein Sänger, der Lieder singt, ist ja schon eine Unerträglichkeit, aber ein Schriftsteller, der seine eigenen Erzeugnisse zum besten gibt, ist noch viel unerträglicher, so Reger. Der Schriftsteller, der ein öffentliches Podium besteigt, um seinen opportunistischen Mist vorzulesen, und sei es selbst in der Frankfurter Paulskirche, ist ein miserabler Schmierenkomödiant, sagte Reger. Es wimmelt vor lauter solchen opportunistischen Schmierenkomödianten, sagte Reger. In Deutschland und in Österreich und in der Schweiz wimmelt es vor lauter solchen opportunistischen Schmierenkomödianten, so Reger. Ja, ja, sagte er, die logische Folge wäre immer die totale Verzweiflung über alles . Aber gegen diese totale Verzweiflung über alles wehre ich mich. Ich bin jetzt zweiundachtzig und wehre mich mit Händen und Füßen gegen diese totale Verzweiflung über alles , so Reger. In dieser Welt und in dieser Zeit, sagte er, in der doch alles möglich ist, ist bald gar nichts mehr möglich. Irrsigler erschien und Reger nickteihm, als wenn er sagen wollte, du hast es besser als ich, zu, und Irrsigler drehte sich um und verschwand wieder. Reger war auf den zwischen seinen Knien eingeklemmten Stock gestützt, als er sagte: bedenken Sie doch, Atzbacher, was es heißt, den Ehrgeiz zu haben, die am längsten dauernde Symphonie der Musikgeschichte zu komponieren. Keinem anderen wäre eine solche Unsinnigkeit eingefallen, als Mahler. Manche Leute sagen, Mahler sei der letzte große österreichische Komponist gewesen, das ist lächerlich. Ein Mann, der bei vollem Bewußtsein fünfzig Streicher streichen läßt, nur um Wagner zu übertrumpfen, ist lächerlich. Mit Mahler hat die österreichische Musik ihren absoluten Tiefstand erreicht, sagte Reger. Reinster Massenhysterie erzeugender Kitsch, so wie Klimt auch, sagte er. Schiele ist der bedeutendere Maler. Heute kostet selbst ein schwaches Klimtkitschgemälde mehrere Millionen Pfund, sagte Reger, das ist widerwärtig. Schiele ist nicht Kitsch, aber ein ganz großer Maler ist Schiele natürlich auch nicht. In der Qualität Schieles hat es ja in diesem Jahrhundert mehrere österreichische Maler gegeben, aber außer Kokoschka keinen einzigen wirklich bedeutenden, sozusagen wirklich großen. Andererseits müssen wir zugeben, daß wir ja gar nicht wissen können, was wirklich große Malerei ist. Sogenannte große Malerei haben wir ja hier im Kunsthistorischen Museum zu Hunderten, sagte Reger, aber sie erscheint uns mit der Zeit nicht mehr als groß, nicht mehr als so bedeutend, weil wir sie zu genau studiert haben. Was wir genau studieren, verliert in uns an Wert, sagte Reger. Also, wir sollten uns davor hüten, überhaupt etwas genau zu studieren. Aber wir können nicht anders, als alles genau zu studieren, das ist unser Unglück, damit lösen wir alles auf und machen wir uns alles zunichte, haben wir uns schon beinahe alles zunichte gemacht. Eine Zeile von Goethe, sagte Reger, sie wird von uns so lange studiert, bis sie uns nicht mehr so großartig vorkommt wie zuerst, nach und nach verliert sie ihren Wert für uns und was uns am Anfang möglicherweiseals die großartigste Zeile überhaupt vorgekommen ist, ist uns am Ende eine elementare Enttäuschung. Von allem, das wir
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