Alte Narben - [Kriminalroman aus der Eifel]
was Lorenz eben über ihr Einfühlungsvermögen gesagt hatte, und nahm Anlauf zu einem letzten Versuch: »Ich würde an Ihrer Stelle auch verärgert sein. Diese Frau eben hat Sie offenbar belästigt, genau wie kürzlich der seltsame Herr Kratz. Hat der was gegen Sie?«
Floto sah Bärbel mit einem so stechenden Blick an, dass ihr bange wurde. »Das geht Sie einen Scheißdreck an! Gehen Sie Ihrer Wege, ich habe noch einen Termin.«
Damit drehte er sich weg und schob seinen Rollator vorwärts. Bärbel wagte nicht, ihm weiter zu folgen oder noch ein Wort an den Alten zu richten. Sie eilte zurück zur Seniorenresidenz und hoffte, ihre unerfreuliche Gefühlslage wieder etwas beruhigen zu können, indem sie ihren Freunden das eben Erlebte berichtete.
6. Kapitel
Der alte Mann fluchte leise vor sich hin. Der Rollator holperte über das Kopfsteinpflaster und bereitete ihm große Mühe. Er hätte doch auf seinen Sohn hören und das Modell mit den extra großen Rädern nehmen sollen. Das sei für Nideggen und Umgebung besser geeignet, hatte Hermann gesagt. Wilhelm Floto hasste es, wenn sein Sohn recht hatte. Das kam jedoch beileibe nicht oft vor, dachte der Alte. Und wenn man ihn brauchte, war der Bengel sowieso nicht da. Das Geschäft und seine Freunde waren wichtiger als der alte Vater. Als wenn er, Wilhelm Floto, es nicht gewesen wäre, der das alles aufgebaut hatte. Vieles war den Bach runtergegangen, seit er zu alt fürs Tagesgeschäft war. Im Laden wie in der Politik. Heute waren doch nur noch Weicheier an der Macht. Den ganzen Wirrwarr, mit dem man sich heute herumschlagen musste, hatte es früher nicht gegeben.
»Weicheier, kommunistische«, zischte Floto, als er den Ort durch das alte, aus roten Sandsteinquadern gebaute Stadttor verließ. Hinter dem Zülpicher Tor bog er rechts ab und betrat das Gelände des alten Kurparks. Der hatte auch schon bessere Tage gesehen, erinnerte sich Floto. Früher, als in Deutschland noch Zucht und Ordnung herrschten, war der Kurpark von Bad Nideggen ein beliebtes Postkartenmotiv gewesen. Heute passierte man ein paar Glascontainer, neben denen Plastiktüten voller Müll standen, und sah auf verlorene Rasenstücke zwischen struppigen Waldfetzen, durchzogen von Spazierwegen. Floto konnte den in steilen Stufen hinabführenden Weg mit seinem Rollator nicht benutzen. Er nahm den etwas längeren Weg, entlang eines großen, schräg in den Hang gebauten Gebäudekomplexes. Auch diese Wohnanlage hatte früher gepflegter ausgesehen, wie er sich erinnerte. Hier gab es keine Stufen. Als er dieses Gebäude hinter sich gelassen hatte, wurde auch dieser Weg recht steil. Wieder fluchte er, als er merkte, wie sich die Gehhilfe selbstständig machen wollte. Der Alte musste die Bremse benutzen. Es dauerte eine Weile, bis er in die Senke hinabgestiegen war und der Pfad wieder flacher wurde. Nun wandte er sich nach links, wo der Weg schmaler wurde und zu den Felsen des Effels führte.
Mittlerweile war es dunkel geworden. Floto ging noch ein paar Schritte weiter, bis der Weg eine Biegung machte und von den Wohngebäuden aus nicht mehr einsehbar war. Hier wartete er. Der Fußmarsch hatte den alten Mann angestrengt. Sein Herz schlug heftig, und er war verschwitzt. Es war kühl zwischen den Bäumen. Floto hatte keine Jacke mitgenommen. Jetzt fror er. Niemand war unterwegs. Vereinzelt waren Vogelrufe zu hören. Die Nacht senkte sich über das Rurtal.
Floto sah auf seine Armbanduhr. Er konnte das Ziffernblatt nicht erkennen. Leise fluchend kramte er nach seinem Telefon, um mithilfe des beleuchteten Displays die Uhrzeit ablesen zu können. Er erstarrte in der Bewegung, als ihn jemand aus dem Dunkel ansprach: »Das können Sie stecken lassen. Ich bin da.«
Floto starrte angestrengt ins Dunkel. Eine Gestalt löste sich aus dem Dickicht und bewegte sich auf ihn zu.
»Wer sind Sie?«, fragte er. »Ich habe Thomas erwartet.«
»Thomas kann nicht kommen«, antwortete die Gestalt, die der Alte immer noch nicht erkennen konnte. »Er hat mich geschickt.«
»Was soll das?« Floto stützte sich auf seinen Rollator und reckte das Kinn vor. »Ich muss mit Thomas sprechen. Wo ist er? Ich habe eben mit ihm telefoniert. Er sagte, er würde das Problem lösen.«
»Das hat er schon, indem er mich geschickt hat«, kam die Antwort.
Ärger schoss in Floto hoch. Er wollte diesem Ärger durch einen Fluch Luft machen, doch er kam nicht mehr dazu. Ein Knüppel zischte aus dem Dunkel herab und landete krachend auf seinem Kopf.
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