ALTEA (Sturmflut) (German Edition)
bedeuten. Ich wusste nichts Genaueres. Ibrahim blieb abrupt an einer Doppeltür stehen. Schwerer Stahl, wie bei fast jeder Tür in diesem Stützpunkt. Trotzdem war diese Tür anders. Hinter ihr saßen meine Freunde. Er drehte sich zu mir und durchbohrte mich erneut mit diesem eiskalten Blick. Genau wie Aljoscha überragte er mich um mehr als einen Kopf und sah auf mich herunter. Sie sahen vollkommen gleich aus und doch war da keine Ähnlichkeit. Mir wurde in diesem Moment klar, wie sehr das Wesen eines Menschen seine ganze Erscheinung beeinflusste. Warum mich das so sehr beschäftigte und gleichzeitig auch aus dem Konzept brachte, vermochte ich nicht einmal zu sagen. Für mich war es einfach so… störend.
„Du hast eine Stunde, dann hole ich dich wieder ab und bringe dich zu Rubinov.“ Erklärte mir Ibrahim. Wie immer, war seine Stimme kühl und frei von jeglichen Emotionen.
Sofort rasten die Einwände durch meinen Kopf, doch mein Mund wollte sich nicht öffnen, um sie freizugeben. Wieso kam ich nur gegen diese Furcht nicht an, die er in mir auslöste? Ich hatte auch Angst vor Adam Khargin und Branko gehabt. Und zumindest viel gesunden Respekt vor Julian Petaks Wahnsinn, aber das hier war anders. Jedem einzelnen dieser Männer bin ich zumindest so entschlossen, wie ich konnte entgegen getreten und hatte dabei immer die Kraft gehabt, meine Angst beiseite zu schieben. Bei Ibrahim brauchte es nur einen Blick und ich war wie gelähmt. Nicht mehr im Stande mich irgendwie daraus zu befreien. Ich wandte mich von seinem Blick ab und sah zu Tür. Mein Herz schlug schneller. Ich konnte es deutlich hören.
„Danach darf ich wieder zu ihnen?“ Es war eine Frage. Eigentlich. Aber meine Stimme war leise. Schwach. Ich konnte mich in seiner Nähe nicht fangen. Das konnte nicht so weitergehen. Ich musste einen Weg finden mit seiner Anwesenheit umzugehen. Wenigstens antwortete er dieses Mal.
„Ja. Es handelt sich nur um eine kurze Unterredung. Danach bringe ich dich wieder zu ihnen.“ Ich nickte langsam und nahm meine Augen nicht von der Tür. Veit legte mir seine Hand auf die Schulter.
„Dann lass uns reingehen. Die anderen warten bestimmt schon darauf dich wiederzusehen.“ Wieder nickte ich nur kurz. Endlich war es so weit. Endlich würde ich sie wiedersehen. Ich wollte sehen, dass es ihnen gut ging. Wollte mich bedanken für alles. Wollte sehen, dass es wahr war. Dass wir das Unglaubliche geschafft hatten und alle entkommen waren aus der Hölle, die hinter uns lag. Ich spürte schon jetzt, wie sich die Tränen langsam nach oben kämpften, doch ich blinzelte sie weg und schob alle Gefühle wieder von mir. Noch war ich nicht zerbrochen. Die anderen sollten nicht denken, dass ich den Ereignissen nicht standhalten konnte. Sie sollten sehen und wissen, dass alles okay war. Ich machte einen weiteren Schritt auf die Tür zu und sie öffnete sich. Ohne noch eine Sekunde länger zu warten, ging ich hinein.
2
Das Erste und Einzige, was ich sah, war Radu. Er saß auf einem Stuhl, den Oberkörper weit nach vorne gebeugt, und stützte seine Unterarme auf den Oberschenkeln ab. Seine Finger waren nervös ineinander verknotet und sein Blick war starr auf eine Wand gerichtet. Das Geräusch der Tür riss ihn aus den Gedanken und als er mich sah, sprang er sofort auf. Ich machte nur einen weiteren Schritt in den Raum, da war er schon bei mir und drückte mich an seine Brust. Er legte meinen Kopf in seinen Nacken und presste seine Wange an meine Stirn. Die Umarmung war intensiv. Als müsste er fühlen, irgendwie überprüfen, dass ich es wirklich war. Ich konnte hören, wie RaDus Herz in seiner Brust hämmerte. Er hatte es mir gesagt. In der Nacht unserer Flucht, hatte er mir gesagt, dass es für ihn nichts Wichtigeres gab, als mich zu beschützen. Radu und ich kannten einander so gut. Obwohl er nur mein Stiefbruder war, gab er mir immer das Gefühl, wirklich Familie für ihn zu sein. Diese Umarmung tat unwahrscheinlich gut und ich rührte mich nicht, aus Angst, er würde mich dann sofort wieder loslassen.
„Es geht dir gut. Du bist am Leben.“ Er flüsterte die Worte in mein Ohr und ich hörte in seiner Stimme deutlich die Angst, die er in den letzten Stunden empfunden hatte. Die gleiche Angst, die auch ich gefühlte hatte bei dem Gedanken, ihn vielleicht nie wieder zu sehen. Ich löste mich
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